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11.05.2020

„Ich habe begonnen, die Stille wiederzuentdecken.“ Im Gespräch mit dem Kameramann und Fotografen Mike Gast

„Ich bin ein leiser Mensch“, sagt der Kameramann und Fotograf Mike Gast (69) über sich. Im Interview mit unserem Autor Martin Schaarschmidt berichtet er von der Bedeutung, die der Hörsinn für seine Arbeit und für sein Erleben hat. – Ein Gespräch über hörbare Stille, geräuschvolle Bilder und faszinierende Erfahrungen mit dem Hörgerät ReSound LiNX Quattro.

Martin Schaarschmidt: Herr Gast, gestatten Sie mir bitte, dass ich Sie den Lesern zum Einstieg kurz vorstelle: Sie sind zwar am Chiemsee geboren, aber in Kanada aufgewachsen – und zwar auf einer Insel. Ihre Kindheit haben Sie auf Vancouver Island verbracht. Ihre Muttersprache ist Englisch. Nach der High School haben sie an der University of California Kunst studiert, wurden dann Kameramann…

Mike Gast: Das ist richtig. Als Kameramann habe ich 40 Jahre lang gearbeitet; vor allem in Deutschland – für ZDF, ARD, SAT.1. Meist habe ich Spielfilme oder Fernsehspiele gedreht. Diese Zeit ist inzwischen vorbei. Heute bin ich vor allem Fotograf. Ich lebe in Hamburg, verbringe aber auch viel Zeit auf der Insel Rügen. Auf der Insel habe ich acht Jahre lang eine Serie für das ZDF gedreht – „Hallo Robbie!“ mit Karsten Speck. Heute bin ich dort, um in der Natur zu sein und zu fotografieren.

Martin Schaarschmidt: Und Sie tragen Hörgeräte. Wie kam es dazu?

Mike Gast: Das liegt mehr als zwölf Jahre zurück. Ich arbeitete damals an einer ARD-Fernsehserie – „Klinik unter Palmen“ mit Klausjürgen Wussow. Zwei Jahre lang waren wir immer im Winter auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán, südlich von Cancún, an einem schönen Platz, wo für uns eine Film-Klinik aufgebaut war. Und dort wurde ich von einer Schlange gebissen. Ich bin am Tod vorbeigeschrammt. Innerhalb von 2 Stunden kam ich nach Cancún in ein Krankenhaus. Ich lag im Koma, und die Ärzte haben mich mit Medikamenten vollgepumpt. Irgendwann bin ich wieder aufgewacht. Es ging mir gut. Aber in der Folge merkte ich, dass mein Gehör schlechter geworden war. Die Ärzte vermuten, dass das durch diesen Schock kam. Ich war also gezwungen, mir Hörgeräte zuzulegen.

Martin Schaarschmidt: Sie sind dann gleich zum Hörakustiker?

Mike Gast: Erst habe ich ein bisschen gezögert. Ich dachte, vielleicht geht es noch weg. Aber dann habe ich gemerkt, wie mich mein Hörverlust bei der Arbeit einschränkt. Als Kameramann ist man immer hinter einer Kamera. Man muss am Set genau hören können, was die Schauspieler sagen. Man muss die Regieanweisungen verstehen. Ich merkte, dass das nicht mehr funktioniert. Also habe ich mir gesagt: O. k., ich mache einen Hörtest. – Bei Hörgeräten zögert man immer. Ich weiß nicht warum. Mit einer Brille ist es etwas anderes. Aber beim Hörgerät gibt es eine Hemmschwelle.

Zuerst war ich bei einem Akustiker in Hamburg. Nach dem Hörtest war klar, ich brauche Hörgeräte. Die habe ich mir dann angeschafft. Meine ersten Geräte waren gut, aber nicht so effektiv. Es ist immer so eine Sache, ein Gerät zu finden, dass für alle Bereiche passt, für die man es braucht.

Martin Schaarschmidt: Worauf kommt es Ihnen da besonders an?

Mike Gast: Sprache zu verstehen, ist natürlich wichtig. Für die Arbeit als Kameramann und für das Fotografieren sind mir aber auch Geräusche unheimlich wichtig. Sie beeinflussen das ganze optische Gefühl.

Mein Gehör ist zwar schwer beschädigt, aber es ist in den letzten Jahren – Gott sei Dank – nicht schlimmer geworden. Bislang hatte ich Hörgeräte von drei verschiedenen Firmen. Auch mit meinen zweiten Geräte kam ich sehr gut klar. Aber im letzten Jahr gab mir mein Hörakustiker auf Rügen die ReSound LiNX Quattro zum Testen mit. Mit denen erlebe ich diese optischen Gefühle deutlich stärker und häufiger. Plötzlich war da diese Präzision, diese Klarheit, gerade in den stillen Bereichen. Für meine Bedürfnisse ist das besser.

Martin Schaarschmidt: Könnten Sie etwas erläutern, was das ist – ein „optisches Gefühl“?

Mike Gast: Wenn ich auf Rügen bin, stehe ich sehr früh morgens auf, grundsätzlich noch in der Dunkelheit. Ich gehe hinunter zum Strand, in den Wald oder in die Felder. Dann kommt die erste Helligkeit. Ich rieche, ich sehe und ich höre: den Wind, die Wellen… Für mich sind das optische Geräusche. Die Geräusche stellen eine Verbindung mit allem her. Sie beeinflussen mich bei meiner Arbeit. Und mit den Geräten habe ich diese Geräusche – und zwar so, wie ich sie sehr lange nicht mehr gehört habe. Sehen Sie zum Beispiel dieses Bild vom Meer. Wasser ist für mich faszinierend. Das Geräusch von Wasser gehört da unbedingt dazu. Wie gesagt, bin ich auf einer Insel aufgewachsen. Um die LiNX Quattro zu testen, ging ich als erstes zu einem Feld. Wenn der Wind durch die Ähren streift, gibt es ein ganz feines Geräusch. Es war unglaublich. Ich stand da und hatte plötzlich einen Flashback. Ich war zurück in meiner Kindheit. Mit Geräuschen ist es so wie mit Gerüchen. Sie halten ein Leben lang. Man riecht etwas und ist auf einmal in der Vergangenheit.

Martin Schaarschmidt: Und das Geräusch des Feldes kannten Sie von Vancouver Island?

Mike Gast: Ja. Es war ein tolles Erlebnis. Und ich habe überlegt, wie ich das optisch umsetze. Ich habe ein Poster gestaltet: „The Stillness of Fields“. – Ich sehe die Welt sehr präzise und detailliert. Und mit guten und gut eingestellten Hörgeräten höre ich diese Details auch, die ich erleben möchte. Sie bereichern mein ganzes Erlebnis. Gerade diese leisen Geräusche der Natur, die sind mir unglaublich wichtig; viel mehr als die lauten. Das Meer kann sehr laut sein. Im Pazifik kommen die Wellen hoch und machen: „Wummms!“. Es gibt Strände, an denen es richtig zischt. Ich habe jahrelang in Kalifornien Wellenreiten gemacht. Diese riesigen Wellen machen unglaubliche Geräusche. Aber der Pazifik hat andere Wellen als der Atlantik oder die Elbe oder die Ostsee. Alle haben ihren eigenen Geräuschpegel. Wenn ich auf Rügen sehr früh morgens unterwegs bin, ist das Meer oft ganz leise. So, als käme es gerade aus dem Schlaf. Geräusche macht es auch dann. Als Kind habe ich sie gehört. Und mit den LiNX Quattro kann ich sie wieder hören. Ich habe begonnen, die Stille wiederzuentdecken.

Martin Schaarschmidt: Also nicht die absolute Stille, sondern eine, die noch zu hören ist?

Mike Gast: Ja. Für mich ist die ein ganz wichtiger Faktor. Ich liebe Stille. Ich bin ein leiser Mensch. Das Leben ist für mich ein Genuss, wenn ich Stille habe. Mitunter finde ich auch Großstädte faszinierend. Aber das ist nicht meine Natur. Ich bekenne mich zur Stille. Da fühle ich mich am wohlsten. Meine Seele sehnt sich nach ihr. Doch ich muss die Stille auch hören können.

Im Herbst sind das zum Beispiel die Blätter, die sich verabschieden. Man hört, wie sie allmählich fallen. Es ist ein ganz leises Schweben. Und dann hört man, wie sie den Boden berühren. Wenn ich im Herbst in Hamburg bin, nehme ich Fahrrad, Rucksack und Kamera und fahre zu verschiedenen Parks. Dort gibt es Gingkobäume. Wenn deren Blätter fallen, gibt das ein ganz bestimmtes Geräusch, das ich jetzt wieder höre. Oder meine Füße erzeugen leise Geräusche, wenn ich durch den Park gehe. Die Stille ermöglicht mir, die Gesamtheit zu sehen. Das Leben existiert doch als eine gewisse Gesamtheit.

Martin Schaarschmidt: Und mit den ReSound LiNX Quattro können Sie diese Gesamtheit wieder erleben?

Mike Gast: Ja. Als ich den Hörverlust hatte, fehlte das völlig. Mit einem Mal war ich unvollkommen. Und die einzige Möglichkeit, das wieder zu ändern, sind gute Hörgeräte – von einem guten Hörakustiker, der die Geräte richtig einstellt; auch das ist sehr wichtig.

Martin Schaarschmidt: Ich vermute, Sie sind ein eher anspruchsvoller Hörgeräte-Kunde…

Mike Gast: Ich bin sehr anspruchsvoll. Ich hatte jetzt mehrere Hörakustiker. Es war nicht leicht, Akustiker zu finden, die sich auf meine Anforderungen einstellen konnten. Mein Akustiker in Hamburg trägt auch Hörgeräte. Ich glaube, wenn man die Problematik selbst erlebt hat, dann kann man sich auf jemanden wie mich auch besser einpegeln.

Für mich sind es die kleinen Nuancen, die sehr viel ausmachen. Wenn ich früh morgens aufstehe, den Wind höre, das Meer, die schreienden Möwen… – Dieser Geräuschpegel beeinflusst mich. Für mich ist das wie Kaffee trinken. Ich werde wacher. Der Geräuschpegel stimuliert meine gesamte optische Wahrnehmung.

Martin Schaarschmidt: Mir fällt auf, dass man auf Ihren Bildern eigentlich nie Menschen sieht?

Mike Gast: Das stellen viele Leute fest, wenn sie meine Bilder sehen. Es liegt daran, dass die Bilder früh morgens entstehen. Die Leute wundern sich oft: die Kreidefelsen von Rügen menschenleer… Dann sage ich nur: morgens früh aufstehen!

Vor den Kreidefelsen saß da ein einziger kleiner Vogel [siehe Foto – Anm. der Red.]. Er war ganz still und hat sich nicht bewegt. So wie ich hat auch er sich alles angeguckt. Und er hat dabei immer kleine Piepse von sich gegeben. Normalerweise hätte niemand diese Piepse gehört. Es war toll. Und ich habe gedacht, dieser Vogel sieht genau das, was ich sehe. Und was er gesehen hat, hat ihm auch gefallen. Die Natur, jedes Lebewesen empfindet etwas. Es macht mir Freude, das hörend zu entdecken.

Martin Schaarschmidt: Vermutlich haben Sie das Gespür für Details in Ihrem Beruf als Kameramann besonders intensiv entwickelt?

Mike Gast: Als Kameramann war ich dafür zuständig, Drehbücher, Regie- und Produktionsanweisungen optisch zu übersetzen. Diese Übersetzung muss zuerst im Kopf geschehen. Das hat mich sehr geprägt. Wenn ich irgendwo hingehe und ein anderer kommt mit mir, dann sehe ich die Gesamtheit dessen, was um uns herum ist, ganz anders als derjenige, der neben mir geht. Ich habe die Welt eben 40 Jahre lang täglich viele Stunden durch einen Sucher betrachtet, immer sehr konzentriert auf bestimmte Dinge gesehen.

Wenn die Vögel früh morgens erwachen, dann gehen sie auf die Jagd nach Nahrung. Und sie haben dann eine stille Art. Sie bewegen sich viel langsamer als tagsüber. Mich fasziniert, wie sich die Natur verändert – in jeder Sekunde, in jeder Viertelsekunde; die Lichtverhältnisse, der Geräuschpegel. Das Licht ist immer etwas anders. Es sind immer neue Töne.

Martin Schaarschmidt: Sie entdecken in diesen kleinen Veränderungen ständig Neues?

Mike Gast: Ich liebe das. Und es beschäftigt mich. Die Wellen zum Beispiel. Ich überlege sehr oft, wo die Wellen herkommen. Sie kommen von sehr weit weg. Sie wurden vom Wind erzeugt, vom Regen, von anderen Faktoren. Und nach hunderten Kilometern brechen sie plötzlich an Land. Es ist das Ende einer langen Reise. Und dieses Ende macht auch Geräusche. Das ist toll. Das ist wie ein Mensch, der sich verabschiedet von dieser Welt. Es gibt Leute, die leise sterben; andere sterben laut. Man kann es sich nicht aussuchen. Irgendwann hat jedes Lebewesen ein Ende. Und Wellen nenne ich auch Lebewesen.

So etwas zu entdecken – die Wolken, den Donner am Horizont, Regentropfen, Hagel… All das höre ich gern. Ich gehe durch die Landschaft, gucke und lausche. Auch wenn es still ist, hat die Stille unglaubliche Präsenz und Stärke. Und wenn man genau zuhört, macht alles Geräusche, selbst eine Blume. Aber viele Leute merken das gar nicht. Sie nehmen sich nicht die Zeit.

Martin Schaarschmidt: Ihr Alltag lässt ihnen vermutlich oft gar keinen Raum, um sich zu sammeln und wahrzunehmen, was um sie herum geschieht?

Mike Gast: Früher, als Kameramann, stand ich auch immer unter Druck. Beim Drehen war ich gezwungen, ein Pensum zu absolvieren. In meinem Rücken stand die Produktion: „Herr Gast, wir haben ein Programm…“ – Sie haben sich nie die Zeit nehmen können, alles genau zu beobachten. Ich hab das auch verstanden.

Das ich diese Zeit heute habe, ist ein Privileg. Ich kann einfach eine Stunde lang sitzen, nur hören und fotografieren. Das ist sehr, sehr reizvoll. Vielen Leuten fehlt die Aufmerksamkeit, die ein Naturwesen eigentlich hat. Weil die Welt so schnelllebig ist, geht ihnen das verloren. Manchmal sage ich zu jemandem: „Komm, setz dich neben mich, und dann gucken wir eine Stunde zusammen!“

Martin Schaarschmidt: Und was geschieht dann?

Mike Gast: Ich erinnere mich an ein Erlebnis mit Klausjürgen Wussow. Wir waren zum Dreh in Mexiko, und ein Tag pro Woche war frei – meist der Sonntag. Ich hatte ein Auto, wollte an die Küste fahren, und Klaus fragte mich am Vorabend, ob er mitkommen darf. Also fuhren wir früh morgens an die Golfküste von Mexiko.

Wir kamen an, ich parkte das Auto und wir gingen zum Strand runter. Dann sagte ich ihm: „Normaler Weise ziehe ich hier jetzt meine Klamotten aus und gehe nackt so eine Stunde; hier ist weit und breit kein Mensch.“ Er sah mich erst an, dann zog er seine Hosen aus und wir sind eine Stunde lang nackt spazieren gegangen. Dann habe ich gesagt: „Klaus, geh jetzt mal ein bisschen im flachen Wasser, und setze deine Fußsohlen ganz behutsam.“ – Das hat er dann gemacht, hat mich angeguckt und gemeint: „Das ist schön.“ So ging das den ganzen Tag. Ich habe ihm Sachen gezeigt, die er nicht kannte. Am Abend sind wir zurück zum Hotel. Und als wir ausstiegen, meinte er zu mir: „Mike, vielen Dank, das war einer der schönsten Tage meines Lebens. Ich habe Dinge entdeckt, die ich zuvor nie erlebt hatte.“ – Eigentlich sollte sich jeder Mensch auf solche Art selbst erleben können.

Martin Schaarschmidt: Hören Sie denn auch mal Musik?

Mike Gast: Nicht, wenn ich unterwegs bin. Wenn ich die Leute in der Großstadt sehe oder auch auf Rügen am Strand, dann haben sie viele irgendeinen Kopfhörer drauf. Davon bin ich kein Fan. Beim Fotografieren will ich hören, was ich sehe. Aber wenn ich am Schreibtisch meine Bilder bearbeite, höre ich zum Beispiel sehr gern Bach. Zusammen mit den Bildern ist das für mich eine wunderbare Mischung. Und ich höre immer über die Hörgeräte. Mit den ReSound LiNX Quattro kann ich mich ja mit meinem Smartphone verbinden. Das Streaming von Musik hat da eine unglaublich gute Qualität. Die Klarheit ist enorm. Ich hatte zuvor nie Hörgeräte, die da so gut waren. Die anderen tendierten in Grenzbereichen immer zum Zischen. Das nimmt alles weg.

Ab und zu höre ich auch ZZ Top. Und letzte Woche war ich in der „Fabrik“ in Hamburg bei einem Konzert von Kiefer Sutherland. Da war es laut. Aber ich hatte mein Musikprogramm eingeschaltet, und das ging richtig gut. Leider war es aber auch sehr voll. Ich merke, dass ich älter werde und es mich stört, wenn zu viel um mich herum ist. Das ist nicht meine Welt.

Martin Schaarschmidt: Aber Sie sind immer noch sehr viel unterwegs…

Mike Gast: Das stimmt. In zwei Wochen fliege ich nach Costa Rica. Da habe ich vor zehn Jahren für das ZDF gedreht – oben in den Kaffeeplantagen und an der Küste. Das Hotel war direkt am Pazifik, unglaublich schön. Und der Hotelbesitzer, ein Deutscher, ruft mich gelegentlich an und fragt, ob ich ihm neue Fotos für seine Website mache. Das mache ich dann natürlich. Und ich hatte dort schon unglaubliche Erlebnisse. Es ist etwas ganz anderes als in einer Großstadt wie Hamburg, wo morgens der Berufsverkehr einsetzt und der Geräuschpegel nie ganz verschwindet. Die Geräusche im Dschungel, die Affen, die Papageien – darauf freue ich mich jetzt schon.

Martin Schaarschmidt: Herr Gast, dann wünsche ich Ihnen eine gute Reise und weiterhin viel Freude bei Ihrer Arbeit! Vielen Dank!

Zum Titelbild: „Ich habe begonnen, die Stille wiederzuentdecken.“ – Kameramann und Fotografen Mike Gast
Fotos: Mike Gast