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27.03.2024

40 Jahre CI-Therapie

Auftakt zum Jubiläumsjahr der Cochlea-Implantat-Versorgung in Deutschland

1991 war Alexander Bley 13 Monate alt und infolge einer Meningitis ertaubt. Der CI-Pionier Professor Ernst Lehnhardt (1924 – 2011), damaliger Leiter der HNO-Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), versorgte ihn daraufhin mit einem Nucleus Cochlea-Implantat. Alexander war damals das mit Abstand jüngste „CI-Kind“ weltweit. – „Ich habe nur noch funktioniert“, erinnert sich Alexanders Mutter in einem ausführlichen Interview für das Buch „Hör-Pioniere. Wie das Cochlea-Implantat (CI) nach Deutschland kam“. „Wir hatten nichts zu verlieren. Und Professor Lehnhardt hat viel Vertrauen ausgestrahlt – und Zuversicht. Auch wenn er nichts beschönigt hat. Aber er hatte eine große Ruhe und Professionalität. Sonst hätte man ihm so ein kleines Menschenkind nicht anvertraut.“

32 Jahre lebt Alexander Bley inzwischen mit der Innenohrprothese. Er hat im letzten Jahr erfolgreich ein Ingenieurstudium beendet. Er arbeitet heute in der Forschung und Entwicklung eines Medizintechnikunternehmens. Und er ist ein erfolgreicher Leichtathlet, der sowohl bei Wettkämpfen hörender Sportler als auch bei denen der Gehörlosen antritt. Bei den Weltmeisterschaften der Gehörlosen errang er 2021 die Titel über 1.500 Meter sowie über 3.000 Meter Hindernis und bei den DEAFLYMPICS 2022 Silber und Bronze.

Was das CI für seinen Weg bedeutet, das berichtete Alexander Bley den geladenen Gästen der Auftaktveranstaltung von 40 Jahren CI-Therapie in Deutschland Mitte Januar im Cochlear Experience Center in Hannover: „Ein Leben ohne das Cochlea-Implantat kann ich mir kaum vorstellen. Meine Eltern hatten damals ein Kind, das plötzlich gehörlos war. Sie wussten nicht, was das bedeutet, und ob man jemals wieder normal leben kann. Und sie entschieden sich für die CI-Therapie, obwohl es noch keinerlei Erfahrung mit der Versorgung eines so kleinen Kindes gab. Ich bin meinen Eltern heute sehr dankbar für diese mutige Entscheidung. Ich bin sehr froh, dass ich hören kann. Viele andere Eltern gehörloser Kinder sind in der gleichen Situation wie meine Eltern damals. Ich will ihnen und allen Menschen zeigen, dass es sich lohnt, ein Cochlea-Implantat sowie die nötige Förderung zu erhalten.“

Einblicke in Anfangsjahre und zukünftige Entwicklung der CI-Therapie – niedersächsischer Ministerpräsident Stephan Weil zeigte großes Interesse

Allein in Deutschland leben heute mehr als 60.000 Kinder und Erwachsene mit der Innenohrprothese. Der Siegeszug des Cochlea-Implantats durch Deutschland und Europa begann vor genau 40 Jahren in Hannover. Hier an der MHH implantierte Professor Ernst Lehnhardt 1984 den ersten vier erwachsenen Patienten ein Nucleus Cochlea-Implantat, bald darauf begann er mit der CI-Versorgung gehörloser Kinder. Das Cochlea-Implantat hatte das Stadium der experimentellen Medizin verlassen und es begann die Etablierung jener bahnbrechenden Therapie, die mittlerweile seit Jahrzehnten in erfahrenen Kliniken als Routine-Eingriff gilt.

Zu den Besuchern des Auftakt-Events gehörte neben zahlreichen Medienvertretern auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der als Ehrengast an der Veranstaltung teilnahm und großes Interesse am guten Hören mit Hörimplantaten erkennen ließ.

Einblick in die Anfangsjahre sowie in die zukünftige Entwicklung der CI-Therapie bot Prof. Prof. h.c. Dr. med. Thomas Lenarz, Direktor der HNO-Klinik und des Deutschen HörZentrums der Medizinischen Hochschule Hannover, in einem Impulsvortrag: „Ob bei der CI-Indikation oder bei Therapie und Nachsorge – hier in Hannover wurden ab Mitte der 1980-er Jahre Benchmarks gesetzt, die wir in den folgenden Jahrzehnten kontinuierlich weiterentwickelt haben“, so der international renommierte CI-Spezialist, der die Leitung der HNO-Klinik der MHH 1993 von Ernst Lehnhardt übernommen hatte. „Entscheidend für die Etablierung der CI-Versorgung war von Beginn an das interdisziplinäre Zusammenspiel in unserer Klinik. Medizin und Technologie, Audiologen und Pädagogen arbeiten seit damals Hand in Hand, um die optimale Versorgung einer stetig steigenden Zahl an Patienten sicherzustellen und die Versorgungsqualität weiter zu erhöhen.“

Zugleich wies der Referent darauf hin, dass nach wie vor auch in Deutschland erhebliche Lücken in der Versorgung mit Hörimplantaten bestehen: Von den rund eine Million schwerhörigen Menschen, die hierzulande vom CI profitieren könnten, sind derzeit nur fünf bis sieben Prozent mit der Innenohrprothese versorgt. Ein Umstand, der sich nicht nur auf die Lebensqualität der Betroffenen niederschlägt, sondern auch allgemein auf die Gesellschaft. Professor Lenarz verwies u. a. darauf, dass aufgrund von unbehandeltem Hörverlust jährlich 39 Milliarden Euro an Kosten entstehen; Hörverlust könne zur nächsten Gesundheitskrise werden, wenn bis 2030 nicht gehandelt wird.

Auch diese Aussagen stießen beim niedersächsischen Ministerpräsidenten auf offene Ohren. Auf seine Frage nach den Ursachen der Unterversorgung beim CI nannte Professor Lenarz mehrere Punkte: Zum einen hätten Betroffene Scheu vor der Operation oder auch Befürchtungen, sie könnten durch die OP ein noch vorhandenes Restgehör verlieren. Hinzu kämen Fehlinformationen und falsche Vorstellungen zur Operation und dem sich anschließenden Weg zum neuen Hören, der tatsächlich viel schneller vonstatten gehe, als manch einer erwarte; auch telefonieren sei oft schon wenige Tage nach der ersten CI-Anpassung möglich. Als einen wichtigen Schritt, um mehr Menschen mit dem CI zu versorgen, nannte Professor Lenarz die immer stärkere Einbindung von Hörakustikern in die CI-Nachsorge.

Aufklärungsarbeit in Sachen Cochlea-Implantat-Versorgung: bestehende Barrieren gemeinsam abbauen

Zusammen mit der MHH hatte Cochlear zur Auftaktveranstaltung eingeladen. Der Weltmarktführer für Hörimplantate hatte Mitte der 1980er Jahre mit dem ersten, von der US Food and Drug Administration zugelassenen Mehrkanal-Cochlea-Implantat den Beginn der CI-Therapie ermöglicht. Bei einer kleinen Führung durch die Ausstellung des Cochlear Experience Centers berichtete Sylwia Swiston, Mitarbeiterin von Cochlear und selbst langjährige CI-Trägerin, von der Entwicklungsarbeit des australischen Medizinprofessors Graeme Clark, der 1978 erstmals einem ertaubten Menschen ermöglichte, durch die Versorgung mit einem Mehrkanal-Cochlea-Implantat wieder gesprochene Worte zu verstehen. In der Folge wurde Professor Clarks CI-System vom Unternehmen Nucleus (später Cochlear) weltweit vermarktete und weiterentwickelte.

„40 Jahre CI-Therapie sind ein guter Grund, um die herausragenden Leistungen der damaligen CI-Pioniere sowie die gemeinsame, einzigartige Erfolgsgeschichte des Versorgungs- und Forschungsstandorts Hannover zu würdigen“, so Sebastian Salomon, Sales Director von Cochlear Deutschland, der einen kurzen Einblick in Forschung und Entwicklung des Herstellers bot. Zudem würdigte Janine Dersch, Market Access Manager und Mitglied im Kuratorium der Hörregion Hannover, das Engagement der Politik für das wichtige Thema Hörrehabilitation am Standort. Ebenso wie die MHH ist auch Cochlear langjähriger und engagierter Partner der Hörregion, deren Projektleiter Nils Meyer ebenfalls zugegen war.

Auch Sebastian Salomon und Janine Dersch nutzten die Gelegenheit, einmal mehr in Sachen Cochlea-Implantat aufzuklären und bei den anwesenden Journalisten um Unterstützung zu werben: „Das Cochlea-Implantat verhilft Menschen seit vier Jahrzehnten zu deutlich mehr Lebensqualität“, so Sebastian Salomon. „Dennoch bestehen nach wie vor große Wissenslücken. Sehr viele Betroffene, die erheblich vom CI profitieren könnten, finden nicht bzw. viel zu spät Zugang zur Therapie. Hier Barrieren abzubauen, ist eine wichtige Aufgabe, die wir nur gemeinsam meistern können. Da sind alle an der Hörversorgung beteiligten Berufe und Institutionen gefordert, ebenso die Interessenvertretungen der Patienten sowie Politik und Gesellschaft.“

Ministerpräsident Stepahn Weil: „Gemeinsam dafür sorgen, dass jeder schwerhörige Mensch die für ihn optimale Hörversorgung erhalten kann.“

Ehrengast Stephan Weil schien diese Einschätzung zu teilen: Das CI sei für viele Menschen ein Segen. Ihn interessiere nicht nur die Auswirkung der Therapie auf die Menschen, sondern auch, wie man die weitere Verbreitung des CI voranbringen könnte. In diesem Zusammenhang verwies er auf das Programm „Zukunft Niedersachsen“, mit dem man exzellente Forschung im Bundesland unterstütze. Es hätte ihn gefreut, von Planungen für ein weiteres Zusammengehen der Hörforschung an den Standorten Hannover, Göttingen und Oldenburg zu hören. Ein solches Projekt würde sich für die Förderung des Programms „Zukunft Niedersachsen“ empfehlen. Es freue ihn insbesondere für die vielen Menschen, die von dieser Forschung profitieren können.

„Es ist beeindruckend, welch enormes Plus an Kommunikation und Lebensqualität die CI-Therapie gehörlos geborenen Kindern sowie schwerhörigen Menschen jeden Alters eröffnen kann“, so der Ministerpräsident. „Mit dem CI wurde es erstmals möglich, einen menschlichen Sinn mit moderner Medizintechnik nachzubilden. Hannover war der Ausgangspunkt dieser einzigartigen Erfolgsgeschichte für Deutschland und ganz Europa. Akteure unserer Hörregion prägten und prägen die weltweite Forschung und die Entwicklung der CI-Therapie maßgeblich. Das alles erfüllt uns mit Stolz und ist zugleich Verpflichtung. Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass jeder schwerhörige Mensch die für ihn optimale Hörversorgung erhalten kann.“