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30.08.2021

Bestmögliche Hörversorgung für alle

Im Gespräch mit Frank Wagner, dem neuen Regional Director von Cochlear Deutschland

„Hier in Deutschland haben wir die Chance, das beste Versorgungssystem für jede Art von Schwerhörigkeit zu etablieren“, sagt Frank Wagner. Der neue Regional Director von Cochlear Deutschland ist ein ausgewiesener Kenner des deutschen sowie des internationalen Marktes für Hörgeräte und Hörimplantate. Und gemeinsam mit seinem Team verfolgt er eine Vision. Mehr in nachfolgendem Interview.

Redaktion: Herr Wagner, Sie sind seit über 24 Jahren in der Audiologie-Branche zu Hause. Für diejenigen Leserinnen und Leser, die Sie dennoch nicht kennen: Könnten Sie sich bitte kurz vorstellen.

Frank Wagner: Gerne. Ich bin 51, verheiratet, habe zwei Kinder. Und ich habe meine ganze Karriere im Umfeld von Schwerhörigkeit zugebracht. Begonnen habe ich als Elektroingenieur in der Entwicklungsabteilung von Siemens Hörgeräte – in der sehr spannenden Zeit, als Hörgeräte gerade digital wurden. Ich hatte das große Glück, dass ich für Siemens den ersten digitalen Hörgeräte-Chip entwickeln konnte – damals für das Prisma. An das werden sich die Älteren sicherlich noch erinnern.

Bei Siemens habe ich verschiedene Management-Stufen durchlaufen – in Marketing und Entwicklung. Fast zehn Jahre lang war ich Entwicklungsleiter in Singapur, später dort CEO des globalen Headquarters. In dieser Funktion war ich auch in den Prozess des Verkaufs der Siemens-Hörgerätesparte involviert; dabei habe ich viel gelernt. Und ich erhielt bei Siemens viele Einblicke in die Arbeit der Hörakustiker. Anfang 2018 wechselte ich dann nach Sydney und übernahm die Leitung der Implantate-Entwicklung und der Systemintegration bei Cochlear, später auch die Entwicklung der Soundprozessoren.

Redaktion: Nun leiten Sie das deutsche Cochlear-Team. Wie ist es, nach langer Zeit wieder zurück in Deutschland zu sein? Was reizt Sie, erneut auf dem hiesigen Markt tätig zu werden?

Frank Wagner: Es ist schon eine Umstellung, aus einem Land ohne Covid in eines mit Covid zu kommen. Und im Privaten fällt mir auf, wie bürokratisch es in Deutschland teilweise ist; manches läuft in anderen Ländern pragmatischer und kundenorientierter.

Aber ich freue mich, wieder hier zu sein. Für Cochlear ist Deutschland einer der drei wichtigsten Märkte der Welt. Das hat nicht nur wirtschaftliche Hintergründe. Es hat auch mit den sehr hohen deutschen Bildungsstandards zu tun. Das Feedback, das wir aus Deutschland bekommen, ist extrem wichtig. Mich selbst reizt an meiner neuen Aufgabe vor allem, dass ich etwas tun kann, um Menschen schneller zu einer besseren Hörversorgung zu verhelfen. Da gibt es sogar einen persönlichen Hintergrund.

Redaktion: Erzählen Sie uns davon?

Frank Wagner: Meine Schwiegermutter ist stark schwerhörig. Sie trug sehr lange Hörgeräte. Doch schon Mitte der 90er, als sie mir ihr Audiogramm zeigte, war für mich klar, dass ihr die Geräte nicht ausreichend helfen: „Du brauchst eigentlich ein Cochlea-Implantat“, sagte ich ihr. Aber zu dieser Zeit war das Cochlea-Implantat (CI) noch etwas Exotisches. Deshalb wurde es ihr auch nicht empfohlen. Sie war bei einer Reihe von Akustikern. Implantiert wurde sie jedoch erst vor vier, fünf Jahren…

Warum hat das so lange gedauert? Obwohl die Voraussetzungen für eine Hörversorgung in Deutschland doch eigentlich so gut sind? Die Ausbildung im dualen System ist exzellent. Wir haben hoch qualifizierte Fachkreise. Und jeder Hörakustiker, dem ich in den letzten 25 Jahren begegnet bin, wollte das Beste für seine Kunden. Zudem gibt es ein enges Netz aus niedergelassenen HNO-Ärzten und Kliniken. Alle setzen auf Qualität. Auch finanziell ist das Gesundheitssystem gut aufgestellt. Und dennoch gibt es Schwerhörige, die deutlich besser versorgt werden könnten. – Nämlich die prozentual eher kleine Gruppe derjenigen, denen Hörgeräte keine ausreichende Hilfe bieten.

Redaktion: Und das wollen Sie ändern?

Frank Wagner: Absolut. Wobei es sich nur gemeinsam ändern lässt. Es geht darum, das Netzwerk der Versorgung auf- bzw. auszubauen; und zwar zusammen mit den Hörakustikern und mit den Kliniken. Es muss doch möglich sein, auch Schwerhörigen der bisherigen Klassifikation WHO3+4 die bestmögliche Hörversorgung zu garantieren! Den Zusammenschluss zu schaffen, ist die größte Herausforderung. Zugleich ist es die größte Chance – und zwar sowohl für die Kunden bzw. Patienten, als auch für Akustiker, Kliniken und Hersteller.

Redaktion: Bitte, lassen Sie uns diesen spannenden Punkt noch etwas zurückstellen… Momentan geht kein Interview an Covid-19 vorbei. Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Aktivitäten von Cochlear in Deutschland und weltweit?

Frank Wagner: Es gab Phasen, in denen unser Geschäft in Deutschland zwischenzeitlich stark beeinflusst war. Alle Operationen, die nicht lebenserhaltend sind, wurden abgesagt. Das hielt zum Glück nicht lange, so dass wir alles in allem gut durch die Krise gekommen sind. Wir haben den Service aufrechterhalten und für die Träger unserer Hörimplantate waren wir zuverlässig erreichbar. Auch den Kontakt zu Kliniken und Akustikern haben wir fortgeführt. Inzwischen besuchen wir sie auch wieder; natürlich mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen.

Positiv ist, dass Covid viele Gelegenheiten bot, unsere Tools für den Remote-Service kennenzulernen. Mit ihnen kann den Nutzern unserer Lösungen auch aus der Distanz geholfen werden. Der Audiologe oder der Hörakustiker kann abklären, ob ein System zuverlässig funktioniert. In der Nachsorge werden Remote Checks immer wichtiger. Das heißt ja nicht, dass der persönliche Kontakt verschwindet. – Was dann fehlen würde, lässt uns die Pandemie ja ebenfalls erleben.

Redaktion: Welche Produkthighlights bietet Cochlear aktuell und was können wir 2021 an Neuheiten erwarten?

Frank Wagner: Highlight im CI-Bereich ist sicherlich unser Cochlear Nucleus® Kanso® 2 Soundprozessor, den wir im Herbst eingeführt haben. Er ist der weltweit kleinste und leichteste frei vom Ohr getragene Soundprozessor.1 Der Kanso 2 Soundprozessor bietet fortschrittlichste Technologie2,3,5,6. Es gibt direktes Streaming von kompatiblen Apple- oder Android™-Geräten, App-Steuerung* und eine leistungsstarke Akku-Lösung7. Die Ladestation verfügt über eine Trockenfunktion. Und die Handhabung des Systems ist besonders einfach4; auf Wunsch sogar mit automatischer Ein- und Ausschaltung.

Ein zweites Highlight wird gerade für viele Hörakustiker interessant sein: der Cochlear Baha® 6 Max Soundprozessor, den wir in diesen Tagen vorstellen. Der neue Soundprozessor ist so klein8 wie der Baha 5 Soundprozessor, hat jedoch einen Anpassbereich bis zu 55 dB. Wir etablieren also einen neuen Standard: Man muss sich nicht mehr zwischen diskreter Ästhetik oder mehr Leistung entscheiden. Man erhält ein breites, dynamisches Klangspektrum, nachweislich besseres Verstehen in lauten Umgebungen9 und zugleich besondere Diskretion10. Für Letztere sorgen auch die kürzere Schnappkupplung und das flache Gehäuseprofil. Außerdem bietet der Cochlear Baha 6 Max Soundprozessor mehr Konnektivität inklusive iOS- und Android-Streaming**. Der Soundprozessor ist staubgeschützt und wasserdicht nach IP68***, er hat eine längere Batterielaufzeit11 und ist bereits für den neuen Bluetooth-Standard LE Audio gerüstet****.

Redaktion: Cochlear ist seit Jahren technologischer Vorreiter für smarte Vernetzung bei Hörimplantaten. Inwieweit verändern Streaming, App-Steuerung oder Remote Tools die implantierbaren Hörlösungen? Welche Trends erwarten Sie noch?

Frank Wagner: Die Vernetzung wird weitergehen. Wobei nicht die Technologien entscheiden, vielmehr deren Nutzervorteile. Wenn ich Telefonate direkt streamen kann, muss ich nicht mehr versuchen, den Hörer optimal zu Mikrofon oder Telefonspule zu halten; und ich verstehe Sprache deutlich besser. Es werden neue Vorteile folgen, sogar Vorteile gegenüber gut Hörenden. Bluetooth LE Audio hatte ich schon genannt. Dieser Standard wird etwa ermöglichen, Ansagen in Bahnhof oder Flughafen direkt zu streamen. Ebenso lassen die Remote Tools weitere Vorteile erwarten. Vielleicht nutzt man sie irgendwann auch im Rahmen von Reha-Maßnahmen. Telemedizin wird zunehmen; und wenn man sie richtig nutzt, ist das ein Win-Win.

Redaktion: Der Wettbewerb auf dem Markt für Hörimplantate hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Wie wollen Sie Ihre Marktführerschaft halten und ausbauen?

Frank Wagner: Zum einen, indem wir für die Nutzer unserer Produkte immer da sind. Das klingt vielleicht banal, ist es aber nicht. Wir streben danach, möglichst jedem Nutzer Zugang zu neuester Technologie zu ermöglichen – auch denjenigen, die ihre Implantate bereits vor Jahrzehnten erhalten haben. Das Cochlear Nucleus 22 Implantat zum Beispiel kann heute mit dem Cochlear Nucleus 7 Soundprozessor genutzt werden – inklusive mobilem Streaming und allem.

Ein Kind, das heute bei einem Neugeborenen-Hörscreening diagnostiziert wird, hat eine Lebenserwartung von vielleicht 90 Jahren. Und der 50-jährige, der implantiert wird, hat immer noch 40 Jahre. Auch er hat also eine sehr lange Zeit, in der wir ihn unterstützen möchten. – Weil wir für sie da sein wollen. Und weil unsere Produkte eine ausgezeichnete Zuverlässigkeit12 haben.

Hinzu kommt unser Streben nach Innovationen. Wir sind ständig auf der Suche nach neuen Ansätzen. Vielleicht haben Sie schon gelesen, dass wir seit mehreren Jahren voll implantierbare Cochlea-Implantate testen…

Redaktion: Ehrlich gesagt noch nicht…

Frank Wagner: Das haben wir nicht an die große Glocke gehängt, aber es ist schon seit längerem publiziert. In Melbourne läuft eine Studie mit zehn Patienten. Die ersten Implantationen gab es bereits vor einigen Jahren. Der alte Wunsch nach unsichtbarer Hörtechnik ist sicherlich immer noch da. Damals in der Hörgeräte-Entwicklung waren wir stolz, wenn wir besseres Sprachverstehen im Störgeräusch erreicht haben. Doch wenn deshalb die Gehäuse etwas größer ausfielen, wurde das Hörgerät nicht gekauft…

Der Ansatz für voll implantierbare Lösungen ist jedoch nur einer von vielen. Und dass so ein voll implantierbares Produkt irgendwann den gesamten Hörgeräte-Markt aufmischt, muss sicherlich niemand befürchten. Zumal auch Hörleistung und Konnektivität zählen. Im Moment zeigen die Rückmeldungen, dass es uns mit unserem Kanso 2 Soundprozessor gelingt, allen drei Kriterien – Diskretion, Hörleistung und Konnektivität – zu entsprechen, und zwar so, wie es aktuell niemand sonst kann. Und wir entwickeln immer weiter.

Redaktion: Um welche Bereiche geht es da noch?

Frank Wagner: Etwa um neue Operationsmethoden, um neue Elektroden. In Australien und den USA läuft derzeit eine Studie, bei der es darum geht, über die Elektrode Medikamente zu verabreichen. Ziel ist, minimalinvasiv zu implantieren und den Heilungsprozess zu verbessern.

Redaktion: Arbeiten Sie auch mit künstlicher Intelligenz?

Frank Wagner: Dieser Begriff wird derzeit recht inflationär gebraucht. Nicht alles, was sich heute KI nennt, ist es bereits. Für KI bei Hörimplantaten sehe ich zwei Ansatzpunkte. Einer ist die Signalverarbeitung. Das System lernt, immer besser mit Sprache und Störgeräuschen umzugehen; dafür braucht man jedoch viel Rechenleistung im System selbst.

Ein zweiter Bereich ist die Anpassung, die man durch Sammeln und Verarbeiten vieler Daten optimieren könnte. Darauf zielt zum Beispiel das Verbundprojekt Hearing in Daily Life (HearDL), das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird13, und bei dem wir als Projektleiter mit der GN Hearing, der HörTech Oldenburg und der HNO-Klinik am Evangelischen Krankenhaus Oldenburg zusammenarbeiten. Ziel ist es, den bimodal mit Hörgerät und CI Versorgten mehr Zufriedenheit im Höralltag zu ermöglichen. Dafür wird der Prototyp einer App entwickelt, mit der sich die Zufriedenheit systematisch evaluieren lässt. Perspektivisch sollen so Rückmeldungen tausender Nutzerinnen und Nutzer gesammelt werden, um jedem von ihnen bestes bimodales Hören zu ermöglichen.

Redaktion: Stichwort GN Hearing – Sie kooperieren seit Jahren in einer strategischen Partnerschaft mit ReSound. Welchen Stellenwert hat diese Zusammenarbeit?

Frank Wagner: Die Smart Hearing Alliance ermöglicht uns schon jetzt, den schwerhörigen Kunden bzw. Patienten bessere Hörlösungen anzubieten. Wir entwickeln in verschiedenen Bereichen gemeinsam. Und bei bimodalen Versorgungen rücken Hörgerät und Hörimplantat enger zusammen. Beide Seiten arbeiten synergistisch und ergänzen sich zu einem System, das bringt klare Vorteile.

Hinzu kommt, dass wir mit der Partnerschaft das gesamte Spektrum möglicher Schwerhörigkeit abdecken – vom leichten Hörverlust bis ganz nach oben. GN besitzt mit Marken wie Jabra sogar noch exzellentes Know-how für Audio-Lösungen im Freizeit- und Business-Bereich. Wir sind im lebendigen Austausch, und vom Wissens- und Technologie-Transfer profitieren alle – insbesondere die Nutzer.

Redaktion: Wie hat sich das Verhältnis von Hörgeräte-Markt und Markt für Hörimplantate aus Ihrer Sicht generell verändert?

Frank Wagner: Auch generell rücken beide Seiten enger zusammen. Festhalten muss man jedoch: Der Markt für Hörgeräte ist in den letzten 30 Jahren massiv gewachsen. Der Markt für Hörimplantate ist zwar auch gewachsen, allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau. Beide Märkte werden weiter zulegen, denn die Bevölkerung altert, unsere Lebenserwartung steigt, ebenso steigen unsere Erwartungen an die Lebensqualität. Wir wollen uneingeschränkte Teilhabe und Kommunikationsfähigkeit bis ins hohe Alter. Daraus folgt aber auch, dass sich der Anteil der Implantationen – im Sinne einer vielleicht besseren Standardversorgung – deutlich erhöhen muss.

Es geht dabei nicht um eine Konkurrenz zwischen Hörgerät und Hörimplantat. In den letzten Jahren wurden in Deutschland 1,5 Millionen Hörgeräte und mehr verkauft. Dem gegenüber stehen vielleicht einige tausend CI-Implantationen pro Jahr. Aus der Perspektive des Hörgeräte-Marktes ist das immer noch eine Nische. Doch das Cochlea-Implantat ist keine Nischenlösung mehr, die nur für taub geborene Kinder geeignet ist; oder für Menschen, die durch einen Unfall ertaubt sind. Das CI muss raus aus dem Schattendasein. Es verdient noch größere Bekanntheit und Vertrauen. Ab einem bestimmten Grad an Hörschädigung sollte es als Standardlösung gelten – und als Chance, um für jeden das Beste herauszuholen.

Redaktion: Das führt uns zurück zu dem, was Sie eingangs sagten?

Frank Wagner: Ein Punkt, der mir absolut wichtig ist. – Heute leben in Deutschland relativ viele Menschen, die mit Hörgeräten versorgt sind, jedoch kein optimales Sprachverstehen haben. Oft heißt es, diese Menschen seien unzufrieden. Nach meinem Eindruck beschreibt das nicht die tatsächliche Situation. Sie sind nicht alle unzufrieden. Sie verstehen nur nicht. Meine Schwiegermutter war damals auch nicht unzufrieden. Aber sobald ich die Hand vor den Mund nahm, verstand sie nicht mehr, weil ihr das Lippenbild fehlte. Und am Telefon verstand sie nur, wenn vorher klar war, worum es geht.

Es geht nicht um Unzufriedenheit, sondern um Unterversorgung. Um die abzubauen, müssen Hörakustik- und Hörimplantat-Markt stärker ineinandergreifen; Kliniken und Hörakustiker sollten viel enger zusammenarbeiten. Dazu muss auch für den Hörakustiker einiges geklärt werden: Welcher Kunde ist möglicher CI-Kandidat? Wo schickt man ihn hin? Kommt er später wieder zurück? … – Auf der einen Seite der Hörakustik-Kunde, auf der anderen Seite der Patient der Klinik. Das erscheint erst einmal wie zwei Welten. Aber es geht darum, Brücken zwischen diesen Welten zu bauen und Chancen zu eröffnen. Ich bin sicher, wenn wir das hinbekommen, dann haben wir viel erreicht. Wertvolle Orientierung gibt da die gerade vorgestellte neue AWMF-Leitlinie „Cochlea-Implantat Versorgung“ 14.

Redaktion: Inwiefern?

Frank Wagner: Etwa indem die Grenze zur möglichen CI-Identifikation und -Indikation erstmals klar definiert wird. Ab welchem Messwert sollten Hörakustiker oder niedergelassener HNO-Arzt empfehlen, sich zu einer möglichen CI-Versorgung in einer Klinik beraten zu lassen? Jetzt gibt die Leitlinie die Orientierung: Abklärung eines CI bei monauralem Einsilberverstehen mit Hörgerät von kleiner/gleich 60 Prozent, gemessen bei 65 dB SPL.

Ich denke, in ganz vielen Fällen ist niemand besser geeignet, die Weichen in Richtung einer möglichen CI-Versorgung zu stellen, als die Hörakustiker. Nicht nur, weil sie die erforderliche Messung zuverlässig durchführen können. Der Hörakustiker kennt seinen Kunden oft seit vielen Jahren. Beide vertrauen einander. Dieses Vertrauen ist die Basis, um den Weg in die Klinik zu ebnen, und um den Kunden zu mehr Lebensqualität zu verhelfen. Viele wissen eben nach wie vor nichts von den Möglichkeiten.

Redaktion: Abgesehen von der Weichenstellung – welche Rolle können Hörakustiker denn sonst im zukünftigen Prozess der CI-Versorgung spielen? Wie arbeitet Cochlear mit den Akustikern zusammen?

Frank Wagner: Eine grundlegend bessere Versorgung für Schwerhörige nach WHO3/WHO4 kann es nur geben, wenn wir neue Wege in der Versorgung gehen und die Hörakustiker entsprechend einbinden – insbesondere auch in die technische Nachsorge. Man geht heute davon aus, dass etwa eine Million Bundesbürger von einer CI-Versorgung profitieren könnten. Die Zahl nannte Professor Lenarz kürzlich in einem Interview. Andererseits haben wir wie gesagt ca. einige tausend Cochlea-Implantationen pro Jahr. Das ist die derzeitige Versorgungskapazität. Wie viele Jahre brauchen wir, um mit dieser Kapazität auch nur ein Zehntel der geschätzten Million zu versorgen? Und dann noch die zusätzliche Nachsorge…

Auch zur weiteren Einbindung der Hörakustiker liefert die AWMF-Leitlinie wichtige Orientierung: Von Reparaturen und Zubehörverkauf bis zu Soundprozessor-Upgrades und Folgeversorgungen gibt es viele Leistungen, die die Betriebe übernehmen können – je nach Know-how und immer auf Basis vertraglicher Vereinbarungen mit der jeweiligen Klinik. Cochlear Deutschland arbeitet aktuell mit über 300 Hörakustik-Betrieben in einem Partner-Netzwerk zusammen. Diese Betriebe bieten Services auf verschiedenen Ebenen. Wir schulen sie, versorgen sie mit Informationen und versuchen, den Kontakt zu den Kliniken zu vermitteln.

Redaktion: Lohnt sich die Partnerschaft für diese Betriebe?

Frank Wagner: Ich denke schon; wobei die Frage ist, worin dieser Lohn besteht. Ein Vorteil ist sicherlich, dass sich die Betriebe durch diese Partnerschaft differenzieren. – Wie kann ich es schaffen, besser bzw. anders wahrgenommen zu werden als mein Wettbewerb? Große Ketten differenzieren sich oft über Preise, die die Kleinen nicht anbieten können. Letztere hingegen haben die Chance, sich über Spezialisierungen abzuheben. Kleine Augenoptik-Betriebe haben das schon vor Jahrzehnten vorgemacht. Als CI-Akustiker bietet man nicht nur Hörgeräte, sondern das gesamte Spektrum an Lösungen – also sozusagen vom Gehörschutz bis zum Thema CI. Auch unsere Allianz mit ReSound lässt sich hier wieder sehr gut nutzen.

Unrealistisch ist hingegen die Erwartung, das CI böte eine Art schnelles Zusatzgeschäft. Denn die Betriebe brauchen die erforderlichen Qualifikationen. Sie investieren erst einmal viel Zeit und auch Geld. In den Kliniken hingegen ist man anfangs oft skeptisch.

Redaktion: Inwiefern?

Frank Wagner: Man scheut sich, mit Hörakustikern zusammenzuarbeiten, und argumentiert, dass ein Cochlea-Implantat etwas grundsätzlich anderes ist als ein Hörgerät. Das ist fraglos richtig; ich bin mir aber dennoch sicher, dass die hoch qualifizierten deutschen Hörakustiker hier helfen können. In manchen Regionen laufen solche Kooperationen bereits seit Jahren sehr gut. Und in den anderen Kliniken muss man dagegenhalten: Wer soll denn die lebenslange Nachsorge für all die Patienten machen, wenn nicht der Akustiker?! Andererseits braucht der Akustiker auch die implantierende Klinik. Beide Seiten brauchen sich.

Ich habe erlebt, wie die Hörversorgung in armen Ländern aussieht. Da entschließt sich ein Kioskbesitzer, statt Zigaretten zukünftig Hörgeräte zu verkaufen, er besucht zwei Wochen einen Herstellerkurs und das war‘s. Wir hingegen haben ein riesiges Potential, und wir sollten es nutzen. Kliniken, Ärzte, Hörakustiker, alle an der Versorgung beteiligten Berufe sollten in die gleiche Richtung ziehen. Auch die Strukturen der Selbsthilfe sind dabei wichtig; ihre Vertreter sind wertvolle Meinungsbildner. Und es braucht auch die Unterstützung der Politik. Wenn alle mitziehen, haben wir die Chance, hier in Deutschland das beste Versorgungssystem für jede Art von Schwerhörigkeit zu etablieren. Das ist die Vision, die ich habe.

Redaktion: Werden Sie Ihr Netzwerk an Hörakustik-Partnern noch weiter ausbauen?

Frank Wagner: Wir entwickeln es planvoll weiter – immer auch mit Blick auf die Qualität. Wir brauchen zuverlässige und vertrauensvolle Partnerschaften. Nur so lässt sich „Hear now. And always“ gemeinsam mit den Betrieben leben. – Es hat ja einen Grund, warum gerade ich diese neue Position übernommen habe. Ich komme von der Hörgeräte-Seite. Ich verstehe die Anliegen der Akustiker und auch ihre Sprache. Diese sprachlichen Unterschiede gibt es ja tatsächlich. Die einen reden von Kunden, die anderen von Patienten, und beide haben dafür gute Gründe. Das zu verstehen, ist wichtig – auch aus der Perspektive des jeweils anderen.

Mit Blick auf die quantitative Erweiterung des Netzwerks zählen für uns mehrere Kriterien: Wir wollen wohnortnahe Nachsorge absichern, dies möglichst flächendeckend. Zugleich muss sichergestellt sein, dass unsere Partner kontinuierlich Erfahrungen mit den Nutzern unserer Produkte sammeln können. Es macht daher keinen Sinn, zu viele Partner an einem Ort zu haben. Wir gehen aktiv auf Betriebe zu und haben dafür ein eigenes Team aufgebaut. Wir sind aber auch grundsätzlich offen und freuen uns, wenn Akustiker von sich aus auf uns zukommen, weil sie sich für Cochlea-Implantate begeistern.

Redaktion: Abschließende Frage: Cochlear feiert 2021 sein 40-jähriges Jubiläum. Was bedeutet dieses Jubiläum aus Ihrer Sicht?

Frank Wagner: Für uns stehen hier ganz klar unsere Kunden im Mittelpunkt. Und die 40 Jahre sind natürlich bedeutend. Sie zeigen, dass Graeme Clarks Vorhaben, Taube wieder hören zu lassen, eben nicht nur Spinnerei war. Seitdem haben wir mit über 600.000 Implantatlösungen Menschen jeden Alters zu einem erfüllten und aktiven Leben verholfen. Und in all diesen Jahren war Cochlear mit seinen Produkten ein verlässlicher Partner und das wollen wir auch weiterhin sein.

Redaktion: Herr Wagner, haben Sie vielen Dank für das interessante Gespräch. Viel Erfolg bei Ihrer neuen Aufgabe!

Das Gespräch führte Martin Schaarschmidt.

Literaturverweise:
1Cochlear Ltd. D1190805 Sound Processor Size Comparison. 2020; March.
2Mauger SJ, et al. Clinical outcomes with the Kanso off-the-ear cochlear implant sound processor. Int J Audiol. Published online 09 Jan 2017 (DOI:10.1080/14992027.2016.1265156)
3Cochlear Ltd. D1660797 CP1150 Sound Processor Interim Clinical Investigation Report. 2020; January.
4Cochlear Ltd. D1416583 CP1150 Formative Usability Report.
5Mauger SJ, et al. Clinical evaluation of the Nucleus 6 cochlear implant system: performance improvements with SmartSound iQ. International Journey of Audiology. 2014, Aug; 53(8): 564-576. [Sponsored by Cochlear].
6Wolfe J, et al. Benefits of Adaptive Signal Processing in a Commercially Available Cochlear Implant Sound Processor. Otol Neurotol. 2015 Aug;36(7):1181-90.
7Cochlear Ltd. D1710313 CP1150 Battery Life Coverage Technical Report. 2020; March
8Land J. Comparison tech data Baha 6 Max, legacy and competition. Cochlear Bone Anchored Solutions AB, Sweden. 2020; D1762475.
9Gawliczek T, Wimmer W, Caversaccio M, Kompis M. Influence of maximum power output on speech understanding with bone anchored hearing systems. Acta Otolaryngol. 2020;140(3):225-229.
10Flynn, MC. Smart and Small – innovative technologies behind the Cochlear Baha 5 Sound Processor. Cochlear Bone Anchored Solutions AB. 2015; 629761.
11Davidsson B. Technical Report: Battery autonomy in Baha 6 Max vs Baha 5. Cochlear Bone Anchored Solutions AB, Sweden. 2020; D1770958.
12Cochlear Limited. D1712187. Cochlear Nucleus Reliability Report, Volume 18 December 2019. März 2019.
13FKZ: 13GW0266A, Fördermaßnahme: Industrie-in-Klinik-Plattformen, Förderbereich: Gesundheitswirtschaft
14AWMF-Leitlinie „Cochlea-Implantat Versorgung“ der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. (DGHNO-KHC), https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/017-071.html

Fußnoten:
* Eine vollständige Liste der mit Smartphones und Apps kompatiblen Geräte finden Sie unter: www.cochlear.com/compatibility. Die Cochlear Nucleus Smart App ist im App Store und bei Google Play erhältlich. Informationen zur Kompatibilität finden Sie unter www.cochlear.com/compatibility.
** Der Cochlear Baha 6 Max Soundprozessor ist mit Apple- und Android-Geräten kompatibel. Die Cochlear Baha Smart App steht im App Store und bei Google Play zur Verfügung. Informationen zur Kompatibilität finden Sie auf www.cochlear.com/ compatibility
*** Der Cochlear Baha 6 Max Soundprozessor (ohne Batteriefach) ist staub- und wasserdicht gemäß Schutzklasse IP68 der internationalen Norm IEC 60529. Weitere Informationen hierzu finden Sie im entsprechenden Benutzerhandbuch. Getestet von den RISE Research Institutes of Sweden AB.
**** Der Cochlear Baha 6 Max Soundprozessor ist mit Bluetooth LE Audio kompatibel. Weitere Informationen zu Bluetooth LE Audio finden Sie unter www.bluetooth.com.
Apple, das Apple-Logo, FaceTime, Made for iPad-Logo, Made for iPhone-Logo, Made for iPod-Logo, iPhone, iPad Pro, iPad Air, iPad mini, iPad und iPod touch sind Marken von Apple Inc., eingetragen in den USA und anderen Länder. App Store ist eine Dienstleistungsmarke von Apple Inc., die in den USA und anderen Ländern registriert ist.
Android ist eine Marke von Google LLC. Der Android-Roboter wird aus von Google erstellten und freigegebenen Arbeiten reproduziert oder modifiziert und gemäß den in der Creative Commons 3.0 Attribution License beschriebenen Bedingungen verwendet.
Die Bluetooth®-Wortmarke und -Logos sind eingetragene Marken von Bluetooth SIG, Inc., und jede Verwendung dieser Marken durch Cochlear Limited erfolgt unter Lizenz.
Der Markenname für von Cochlear hergestellte Cochlea-Implantate lautet Cochlea-Implantate der Cochlear™ Nucleus®-Serie.
ACE, Advance Off-Stylet, AOS, AutoNRT, Autosensitivity, Beam, Bring Back the Beat, Button, Carina, Cochlear, 科利耳, コクレア, 코클리어, Cochlear SoftWear, Codacs, Contour, コントゥア, Contour Advance, Custom Sound, ESPrit, Freedom, Hear now. And always, Hugfit, Hybrid, Invisible Hearing, Kanso, MET, MicroDrive, MP3000, myCochlear, mySmartSound, NRT, Nucleus, Outcome Focused Fitting, Off-Stylet, Profile, Slimline, SmartSound, Softip, SPrint, True Wireless, das elliptische Logo und Whisper sind Marken beziehungsweise eingetragene Marken von Cochlear Limited. Ardium, Baha, Baha SoftWear, BCDrive, DermaLock, EveryWear, SoundArc, Vistafix, und WindShield sind Marken beziehungsweise eingetragene Marken von Cochlear Bone Anchored Solutions AB.

Foto: Cochlear Ltd.