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28.02.2024

„Die Möglichkeiten, die mir das CI bietet, nehmen immer weiter zu.“

Ein Gespräch mit Sylvia Swiston über Barrieren bei der Versorgung mit Cochlea-Implantaten (CI) und über erste Erfahrungen mit Soundprozessor Cochlear Nucleus 8

Schon mit 17 oder 18 Jahren hätte Sylvia Swiston (35) Cochlea-Implantate gebraucht. Doch es dauerte weitere zehn Jahre, ehe sie erstmals vom CI erfuhr und tatsächlich versorgt wurde. Heute arbeitet sie als Account Manager Clinics im Außendienst von Cochlear Deutschland. Das ermöglicht ihr sogar, die neuesten Soundprozessoren frühzeitig zu testen und mit bisherigen Lösungen zu vergleichen. Beim Treffen berichtete Sylvia Swiston von ihren Erfahrungen mit dem neuen Cochlear Nucleus 8 und von Barrieren, die viele hörgeschädigte Bundesbürger nach wie vor an einer CI-Versorgung hindern.

Redaktion: Frau Swiston, Sie sind seit acht Jahren beidseitig CI-versorgt. Wie war Ihr Weg zum Cochlea-Implantat?

Sylvia Swiston: Meine Hörschädigung begann, als ich elf Jahre alt war, und ich hörte von Jahr zu Jahr immer schlechter. Zuerst hatte ich nur eine Tieftonschwerhörigkeit, später waren auch hohe Töne betroffen. Ich wurde mit Hörgeräten versorgt, doch die konnten mir nie wirklich helfen. Tiefe Töne lassen sich mit Hörgerät nicht optimal verstärken; das kann ein Cochlea-Implantat viel besser ausgleichen. Problem war jedoch, dass ich vom CI lange Zeit überhaupt nichts wusste. Dabei war ich bei verschiedenen HNO-Ärzten und habe immer wieder gefragt, ob sich mein Hörverlust operativ behandeln lässt. Die Antwort der Ärzte war mehr oder weniger immer: Nein, das ginge nicht. Ich müsste mir Zeit lassen, mich an die Hörgeräte gewöhnen, sie akzeptieren lernen. Dabei kam ich mit den Geräten im Alltag überhaupt nicht zurecht.

Schließlich besorgte ich mir einen Termin im Universitätsklinikum Frankfurt, um mich dort untersuchen zu lassen. Ich hörte nicht nur zum ersten Mal vom Cochlea-Implantat; der Audiologe sagte mir sogar, ich sei die perfekte CI-Kandidatin. Plötzlich gab es doch einen Ausweg, wie ich ihn mir immer erhofft hatte. Ich war so glücklich, dass ich noch am selben Tag den OP-Termin vereinbarte.

Redaktion: Wie viele Jahre haben Sie durch die fehlenden Informationen verloren?

Sylvia Swiston: Da muss ich überlegen. Mit elf kam ich sogar noch ohne Hörgeräte zurecht, richtig schwierig wurde es in der Oberstufe. Ab da war ich bei mehreren Akustikern und bekam immer neue Hörgeräte angepasst. Mit 17, 18 hätte ich bestimmt mit dem CI versorgt werden können. Operiert wurde ich mit 27. Das heißt, zehn Jahre habe ich deutlich schlechter gehört als nötig.

Redaktion: Sie haben beruflich und privat mit vielen CI-Trägern zu tun. Stellen Sie fest, dass andere auf ähnliche Art von einer frühzeitigen CI-Versorgung abgehalten wurden?

Sylvia Swiston: Davon wird mir oft berichtet. Und es gibt zweifellos noch viel mehr Menschen, die gleichfalls profitieren könnten, vom CI jedoch noch nichts wissen. Auch manche niedergelassenen HNO-Ärzte wissen wenig darüber. Sie scheuen sich zuzugeben, dass sie nicht erklären könnten, wie ein CI funktioniert. Oder sie geben Informationen nicht weiter und überweisen ihre Patienten nicht in die spezialisierte Klinik. Wenn man beim HNO-Arzt nichts vom CI erfährt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man bis zur Klinik kommt, sehr gering.

Es ist enorm wichtig, dass das Thema viel mehr Aufmerksamkeit bekommt. HNO-Ärzte, Audiologen, Hörakustiker – alle müssten die Informationen viel breiter streuen. Im Kontakt mit den Betroffenen können sie viel dafür tun, dass Ängste gemindert und falsche Vorstellungen abgebaut werden.

Redaktion: Was für Vorstellungen meinen Sie?

Sylvia Swiston: Oft denken Betroffene zum Beispiel, sie müssten komplett taub sein. Für ein CI wären sie erst dann geeignet, wenn sie in Gesprächen und am Telefon überhaupt nicht mehr folgen können. Das stimmt nicht. Wir wissen heute, dass schon Menschen mit einem Einsilber-Verstehen von unter 60 Prozent erheblich vom CI profitieren können.

Falsche Vorstellungen gibt es auch von der OP. Leute fürchten sich vor einer riskanten Operation am Kopf, unmittelbar am Gehirn. Natürlich hat jede OP Risiken. Eine CI-Implantation ist eine Operation am Ohr, die längst als Routine-Eingriff gilt und die in Deutschland von gut ausgebildeten Ärzten minimalinvasiv durchgeführt wird.

Redaktion: Kommt es auch vor, dass Menschen denken, sie wären aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nicht mehr für ein CI geeigent?

Sylvia Swiston: Ja, auch das höre ich oft. Und es stimmt ebenfalls nicht. Studien zeigen sehr deutlich, wieviel Lebensqualität das CI gerade im hohen Alter zurückgeben kann. Beim CI gibt es keine Altersgrenze. Solange man körperlich fit ist, einer Vollnarkose gewachsen ist und keine Kontraindikation besteht, kann man sich versorgen lassen.

Falsche Vorstellungen gibt es aber auch hinsichtlich der Implantat-Systeme. Man stellt sich eine Hörprothese vor, die den Alltag immer wieder einschränkt. Vor Jahrzehnten war das wohl noch so. Doch heute gibt es kaum etwas, was ich mit meinen CI nicht machen kann. Die Soundprozessoren sind kaum zu spüren, sitzen zuverlässig und sind wasserfest. Man kann sportlich aktiv sein, muss auf nichts verzichten, selbst wenn man Extremsportler ist. Die Möglichkeiten, die mir das CI bietet, nehmen immer weiter zu.

Redaktion: Sie geben mir das Stichwort: Als Account Managerin Clinics haben Sie bei Cochlear die Chance, jeden neuen CI-Soundprozessor zu testen und mit früheren Produkten zu vergleichen. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Nucleus 8?

Sylvia Swiston: Da gibt es eigentlich vier Bereiche, die wirklich innovativ sind, und die mir im Alltag positiv auffallen. Den ersten hatte ich ja schon erwähnt: die Wasserfestigkeit. Das Vorgängerprodukt Nucleus 7 war bereits spritzwassergeschützt, der N8 hat so wie der Kanso 2 den IP68-Standard; und der ist für viele CI-Träger tatsächlich sehr wichtig. Man kann Sport treiben und schwitzen, in einen Regenschauer kommen oder duschen… Auch für Eltern von CI-Kindern ist das sehr entlastend.

Redaktion: Die Wasserschutzhülle braucht man also nicht mehr?

Sylvia Swiston: Die kann ich je nach Situation zusätzlich verwenden, was wir ja auch empfehlen. Im Sommer am Strand schützt sie vor den Sandkörnern; und wenn man ohne den Schutz oft in Chlor- oder Salzwasser schwimmt, kann das mit der Zeit die Gehäuseoberfläche angreifen, sie sieht dann nicht mehr so schön aus. Entscheidend ist jedoch: Dank IP68 muss ich nicht mehr ständig daran denken, dass da ein Prozessor sitzt.

Erst kürzlich hatte ich selbst so ein Erlebnis: Ich war mit einer Freundin joggen, wir waren nicht nur ordentlich durchgeschwitzt, sondern hatten auch Pech mit dem Wetter. Es begann zu regnen und hörte nicht mehr auf. Meine Freundin meinte: „Sylvia, du hast hoffentlich deinen Wasserschutz dabei; sonst passiert noch was.“ Ich konnte jedoch einfach abwinken. Es war nicht nötig und es ist nichts passiert. Wer ohne Technik am Ohr lebt, kann sich vermutlich kaum vorstellen, wie erleichternd das ist.

Redaktion: Von welchen Neuerungen profitieren Sie noch?

Sylvia Swiston: Ein weiterer Punkt ist das Design, das nochmals deutlich optimiert wurde. Der N8 ist kleiner und leichter, das Gehäuse entspricht in etwa der Größe eines Power-Hörgeräts. Es gibt einen optischen Vorteil, der für viele CI-Träger sehr wichtig ist. Der N8 sitzt unauffällig am Ohr; auch die Spule ist sehr flach. Das geringe Gewicht sorgt zudem für mehr Tragekomfort. Man wird nicht ständig daran erinnert, dass man etwas am Kopf trägt. Auch bei kleinen Kindern zählt sowas. Unter der Mütze oder unterm Fahrradhelm lässt sich die flache Spule gleichfalls problemlos platzieren.

Mehr Tragekomfort bringt aber auch der elastische Ohrhaken. Sein Abstand zur Prozessoreinheit ist jetzt geringer. Wer kleine Ohren hat, dem konnte es beim N7 passieren, dass das Gehäuse nach hinten rutschte. Der N8 sitzt besser am Ohr; und dank des geringen Gewichts drückt er nicht. Für mich persönlich ist immer wichtig, dass ich im Alltag möglichst nicht spüre, dass ich etwas am Kopf trage. Der N8 gibt mir dieses Gefühl; und das, obwohl es ein HdO-Soundprozessor ist.

Redaktion: Noch etwas zum Design: Eine Neuerung sollen auch spezielle Cover bzw. Schmuckblenden sein?

Sylvia Swiston: Ja, das ist eine schöne Option – für Kinder und deren Eltern, aber auch für viele Erwachsene. Diese Cover sind aus transparentem Kunststoff. Man kann sie mit Stickern bekleben, bemalen, mit Strass-Steinen verzieren… Der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt.

Ich selbst hab den Nucleus 8 zwar auch mal mit Cover ausprobiert; ich mag aber eher neutrale Farben, mein Soundprozessor muss nicht bunt sein. Doch ich kenne viele, denen sehr daran liegt. Sie wollen, dass jeder das CI gleich sieht. Oder sie möchten, dass der Look des Prozessors zu ihrer jeweiligen Kleidung oder Stimmung passt. All das geht jetzt. Man kann die Schmuckblenden nach Belieben austauschen. Praktisch ist das zum Beispiel auch dann, wenn man mal zeitweise einen Ersatzprozessor bekommt. Mit den Covers hat auch der sofort meine individuelle Note.

Redaktion: Erleben Sie mit dem N8 auch Verbesserungen beim Hören?

Sylvia Swiston: Das wäre der dritte Bereich, in dem Nucleus 8 spürbar besser ist – durch das optimierte Scan 2 und den automatischen FowardFocus. Dazu muss ich sagen, dass ich schon immer ein Fan der FowardFocus-Funktion war, also auch schon bei N7 und bei Kanso 2. Man sitzt in einer lauten Umgebung, in einer Veranstaltung, in einem Restaurant, und möchte sich unterhalten. Dabei hilft FowardFocus. Er erkennt eine Fülle von Störgeräuschen und blendet sie aus. Das ist so fantastisch, dass ich mir ein Leben ohne diese Funktion nicht mehr vorstellen kann.

Bislang war es jedoch so: Wenn ich in lauter Umgebung war und mich unterhalten wollte, dann musste ich mein Smartphone vorholen, die App öffnen und per Tastendruck FowardFocus aktivieren. Dem Gesprächspartner musste ich kurz erklären, dass ich den Soundprozessor erstmal anpassen muss, weil ich dem Gespräch sonst nicht folgen kann. Und nach dem Gespräch musste ich den FowardFocus wieder deaktivieren.

Redaktion: All das fällt jetzt weg?

Sylvia Swiston: Genau. Ich muss eine solche Unterhaltung überhaupt nicht mehr unterbrechen, weil FowardFocus im Hintergrund mitläuft. Hörakustiker oder Audiologe können ihn so einstellen, dass er über das Scan-Programm automatisch aktiviert wird, sobald es lauter ist. Das ist eine echte Erleichterung. Es ist aber auch weiterhin möglich, ForwardFocus manuell per App zu bedienen. Auch diese Einstellung kann – wenn gewünscht – vom Hörakustiker oder Audiologen programmiert werden.

Hinzu kommt die optimierte Scan 2 Funktion. Durch sie ist der Soundprozessor viel präziser auf die akustische Umgebung eingestellt, ohne dass ich selbst etwas tun muss. Durch dieses Mehr an Präzision kann ich Gesprächen leichter und entspannter folgen. Ich muss mich weniger auf das Verstehen konzentrieren und kann gedanklich mehr beim eigentlichen Thema sein.

Redaktion: Wenn Sie FowardFocus nicht mehr selbst aktivieren müssen, wozu nutzen Sie dann noch die App?

Sylvia Swiston: Zur Regulierung der Lautstärke, zum Programmwechsel, um die Akkulaufzeit zu prüfen. Die App nutze ich immer noch ständig. Etwa auch für den Remote Check, mit dem ich gute Erfahrungen habe. Ich kann von überall her Kontakt mit dem Audiologen aufnehmen und meinen Hörstatus überprüfen lassen; ist alles ok, brauche ich keinen Termin in der Klinik.

Redaktion: Sie sprachen von vier Bereichen, die Ihnen Vorteile bieten. Welches ist der vierte?

Sylvia Swiston: Da geht es eher um zukünftige Vorteile. Konnektivität mit Apple und Android Smartphones oder die Anbindung über den TV-Streamer haben wir ja schon länger. Doch Nucleus 8 hat bereits den neuen Bluetooth-Standard LE Audio, auch wenn die passenden Endgeräte jetzt erst auf den Markt kommen. Wenn der erste Handy-Hersteller ein Produkt vorstellt, werden die anderen bald nachziehen. Dann wird es Vorteile geben, auf die ich mich schon jetzt freue.

Redaktion: Welche Vorteile denn?

Sylvia Swiston: Zum Beispiel, dass ich zukünftig nicht mehr darauf achten muss, welches Smartphone mit meinen CI kompatibel ist. Nucleus 8 wird mit jeder Technik, die den neuen Standard hat, kompatibel sein; also mit Handys, Smart-TVs und vielen weiteren Geräten. Jede Audio-Quelle, die den neuen Standard nutzt, kann direkt auf die CI gestreamt werden. Das wird dann auch im Kino oder bei Ansagen in Flughafen und Bahnhof funktionieren. Solche Ansagen sind für mich bislang sehr schwer zu verstehen. Wir müssen abwarten, wie lange es noch dauern wird, bis auch Bahnhöfe Bluetooth LE Audio nutzen. Aber es wird kommen. Und mit dem N8 bin ich auf diese Zukunft schon heute bestens vorbereitet.

Redaktion: Dann wünschen wir Ihnen, dass das möglichst bald sein wird. Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Ein Video, in dem Sylvia Swiston den Soundprozessor Cochlear Nucleus 8 vorstellt, finden Sie unter https://youtu.be/mEVleCFRfMY.