20.03.2024
Eine neue Ära des vernetzten Hörens
Premiere in Nürnberg: Bluetooth® LE Audio und Auracast™ eröffnen Hörsystem- und CI-Trägern völlig neue Möglichkeiten
Er ist die Zukunft drahtloser Audio-Übertragung: Der neue Standard Bluetooth Low Energy (LE) Audio soll Bluetooth Classic Audio, das uns seit 1999 begleitet, jetzt ablösen – nach jahrelanger Entwicklung, die in enger Zusammenarbeit von Consumer-Electronics und Hörgeräte-Industrie vonstatten ging. Bessere Audio-Qualität bei niedrigerem Stromverbrauch, Auracast Broadcasting, Multi Streaming und weitere Vorteile soll der neue Standard ermöglichen. Namhafte Hersteller wie Philips, Samsung oder Sony stellen aktuell erste kompatible Produkte vor. Große Erwartungen hinsichtlich Bluetooth LE Audio und der dazugehörigen Anwendung Auracast Broadcast Audio gibt es aber auch in der Hör-Branche: Hörgeräte- und CI-Trägern eröffnet der Standard neue Möglichkeiten, die man beim EUHA-Kongress erstmals erleben konnte.
2014, als die GN Hearing mit dem Hörsystem ReSound LiNX zum ersten Mal direktes mobiles Sound-Streaming vorstellte, herrschte in der Hörakustik noch große Skepsis. – „Meine Kunden haben gar kein Smartphone“, war ein oft bemühter Vorbehalt. Doch die Zeiten ändern sich. Heute gehört zu jeder zweiten Anpassung die Kopplung mit einem iPhone oder Smartphone1. Laut MarkeTrak Studie 2022 zählt die direkte Konnektivität mit Mobilgeräten und Computern zu den Top-3-Faktoren für die Zufriedenheit mit Hörsystemen; insbesondere die „nachrückenden Babyboomer“ wollen auf smarte Vernetzung nicht mehr verzichten.
Doch das geht mit Herausforderungen einher: Die Spezifikation für Bluetooth-Hörhilfen war bisher nicht standardisiert. Stattdessen behelfen sich Hersteller von Hörgeräten und Hörimplantaten bis dato mit jeweils eigenen Protokollen zur Erweiterung der Bluetooth-Technologie. Hinzu kamen mit Apple MFi und Google ASHA Protokolle für mobile Betriebssysteme. Folge ist eine komplexe und unübersichtliche Landschaft an – mehr oder weniger – kompatiblen Smartphones und Zubehör.
Doch es ist eine Lösung in Sicht – eine, die vereinheitlicht und Grenzen der Kompatibilität aufhebt, die die Qualität des Audiostreamings sowie die Stabilität erhöht und zugleich den Stromverbrauch senkt: Unter dem Dach der Bluetooth Special Interest Group (SIG) entstand seit 2013 der neue Standard Bluetooth LE Audio, der das bisherige Bluetooth Classic Audio ersetzen und die Möglichkeiten zur Audio-Übertragung grundlegend erweitern wird – und das sowohl für Nutzer hörverbessernder Technik als auch für alle anderen. Entwickelt wurde Bluetooth LE Audio unter Mitwirkung namhafter Unternehmen wie Apple, Google, LG, Microsoft, Samsung und Sony. Von Beginn an beteiligt waren jedoch auch alle bekannten Hersteller von Hörgeräten und Hörimplantaten, der Verband der Europäischen Hörgeräte-Industrie (EHIMA) und weitere Player des weltweiten Audiologie-Markts.
Mark Powell, CEO der Bluetooth SIG, erwartet vom neuen Standard einen “weiteren massiven Wandel im Markt für drahtloses Audio“. Und Stefan Zimmer, Generalsekretär der EHIMA, bestätigt: „LE Audio wird einer der wichtigsten Fortschritte für Nutzer von Hörgeräten und Hörimplantaten sein.“
Bahnansagen und Kinosound – direkt in Hörgerät oder Kopfhörer
Schlüssel zum neuen Standard ist der sogenannte Codec: Audio-Signale sollen derart kodiert werden, dass bei gleicher Datentransferrate weniger Informationseinheiten (Bits) für die Signalübertragung benötigt werden. Doch dafür braucht man Rechenleistung, also Energie und Zeit. Zudem muss man sicherstellen, dass keine relevanten Daten verloren gehen. Im Vergleich zum bisherigen Codec gelingt das mit dem neuen LC3-Codec von Bluetooth LE Audio deutlich besser.
Hinzu kommt die Möglichkeit zum Multi-Streaming: Das standardisiert nicht nur die Kopplung von rechtem und linkem Hörgerät. Es werden auch mehrere Audio-Streams zwischen Geräten ermöglicht, ebenso Stereo-Übertragungen zu allen kompatiblen Hörgeräten, Kopfhörern, In-Ears… Außerdem können die Kanäle für Audio-Streaming und Sprachsteuerung getrennt werden. Auch der Empfang von mehreren Quellgeräten wird verbessert.
Nicht zuletzt wird Auracast Hören und Verstehen im öffentlichen Raum, in Flughäfen, Kinos und Konferenzen, für alle auf ein neues Level heben – unabhängig davon, ob sie Hörsysteme, Kopfhörer oder Hörimplantate tragen. Auch wenn Induktionsspulenanlagen und ebenso FM- und Infrarot-Systeme in den kommenden Jahren sicherlich noch gebraucht werden – perspektivisch können alle bisherigen Assistenzsysteme durch Auracast abgelöst werden.
Die Funktionsweise von Auracast ist schnell erklärt: Ein Transmitter streamt an alle kompatiblen Geräte in Reichweite – ähnlich wie ein WLAN-Hotspot. Auf Wunsch werden Bahnansagen oder Kinosound direkt auf kompatible Endgeräte, z.B. auf Hörsysteme, gestreamt – idealer Weise nur die Ansagen für den eigenen Zug oder die Filmsynchronisation in der bevorzugten Sprache… Die Installation der Streamer soll übrigens keine Hürde und die Anschaffungskosten sehr moderat sein.
Auracast im Test: Soundstreaming über 145 Meter Messe-Halle
In Nürnberg gab es in diesem Jahr nicht nur die ersten Hörsysteme mit Bluetooth LE Audio und Auracast zu erleben: Neben den Micro-RIC-Hörsystemen ReSound Nexia und Beltone Serene stellte GN auch den Auracast-fähigen TV-Streamer+ vor, der TV-Sound zukünftig in alle kompatiblen Hörgeräte, Hörimplantate oder – wie in der Demo zu erleben – in Kopfhörer streamt. Für das häusliche Umfeld ausgelegt, verfügt der TV-Streamer+ über eine Reichweite von sieben Metern.
Deutlich größer ist die Reichweite der Streamer von Hersteller Ampetronic, die für den Einsatz in öffentlichen Räumen entwickelt wurden. Auch sie waren an den Ständen von GN und Bluetooth SIG zu erleben – und nicht nur dort: Wer das Auracast-Streaming der Demo bis an die Grenzen testen wollte, konnte sehr weit laufen…
Und die Demo zeigte noch mehr. GN Hearing und Bluetooth SIG hatten fünf Audio-Quellen vorbereitet: Zwei Fernseher mit laufendem Programm und der Option, zwischen verschiedenen Sprachkanälen zu wechseln, das Gate eines Flughafens mit entsprechenden Ansagen sowie ein Auditorium boten Audio-Streams, die man über die bereitgestellten Earbuds frei empfangen konnte. Für die Anwahl erhielt man ein Smartphone mit entsprechendem Interface, vergleichbar einer Übersicht über vorhandene WLAN-Netze. Die fünfte angebotene Quelle, „Daves Notebook“, war im Interface ebenfalls verzeichnet, jedoch mit einem Passwort geschützt. Den Sound zum Film auf „Daves Notebook“ konnte also nur hören, wer das entsprechend Passwort eingab. War dies erfolgt, konnte man den Soundfile für das Notebook ebenso anwählen wie die vier frei zugänglichen Programme.
Der Stand der Bluetooth SIG befand sich an der hinteren Schmalseite der Halle 3A. Beim Gang durch die Halle konnte man nun am Smartphone zwischen den Quellen hin und her wechseln, Filmsound, Flughafenansagen für Gate 23 oder einen Redner im Auditorium verfolgen. Über die gesamten 145 Meter Länge der Halle 3A blieb die Verbindung zu allen Programmen bestehen; erst zehn Meter nach dem Verlassen der Halle brach sie ab.
1 Audiologist Survey | Jan 2020, US Study, n = 225 HCPs