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15.11.2021

Neue CI-Leitlinie bringt Klarheit bei Indikation und Versorgungsweg

Im Gespräch mit Professor Dr. Dr. Thomas Zahnert über die neue AWMF-Leitlinie „Cochlea-Implantat Versorgung“

Im vergangenen Jahr wurde der erste internationale Konsensus zur Versorgung mit Cochlea-Implantaten (CI) bei Erwachsenen verabschiedet. Das Konsensus-Papier zeigt auch auf, wie wichtig nationale Leitlinien sind. Für Deutschland hat jetzt die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. (DGHNO-KHC) im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) eine aktualisierte Leitlinie „Cochlea-Implantat Versorgung“ verabschiedet. Doch welche neuen Kriterien nennt sie für die zukünftige Versorgung mit Cochlea-Implantaten (CI)? Und welchen Stellenwert räumt sie dabei Hörakustik-Betrieben ein? Antwort bekamen wir im Interview mit Professor Dr. med. habil. Dr. h.c. Thomas Zahnert. Der Leiter der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Dresdner Universitätsklinikum Carl Gustav Carus zählt laut aktueller Erhebung des FOCUS Magazins zu Deutschlands Topmedizinern. Und er war für Koordination und Korrespondenz der neuen AWMF-Leitlinie verantwortlich.

Redaktion: Herr Professor Zahnert, die jetzt vorgelegte AWMF-Leitlinie ist eine grundlegende Überarbeitung der Leitlinie von 2012. Warum war diese Aktualisierung nötig und welche Punkte standen dabei im Fokus?

Prof. Zahnert: Die Notwendigkeit einer neuen Leitlinie ergab sich schon aus einer großen Zahl wissenschaftlicher Expertisen, die seit damals hinzugekommen sind. Versorgungsstrukturen haben sich weiterentwickelt, ebenso die Ansprüche an die Qualität. In der Zwischenzeit wurden beispielsweise das Weißbuch der DGHNO-KHC und die Leitlinie „Periphere Hörstörungen im Kindesalter“ verabschiedet, aus denen notwendige Aktualisierungen folgten.

Im Unterschied zu 2012 haben wir uns bei der neuen Leitlinie ausschließlich auf Cochlea-Implantate konzentriert; zuvor waren auch noch die zentral-auditorischen Implantate enthalten. Diese haben wir jetzt ausgeklammert, weil ein solches zusätzliches Themenfeld die Verständigung noch komplizierter macht, als sie es ohnehin schon war.

Für die neue Leitlinie haben wir nicht nur jeden einzelnen Satz geprüft und fast jeden neu formuliert. Es sind viele neue Inhalte hinzugekommen. Der Text ist daher fast dreimal so lang. Wesentlicher Unterschied ist, dass der Prozess der CI-Versorgung erstmals in seiner Gesamtheit abgebildet wurde. Die Einbeziehung unterschiedlicher Professionen in den Prozess, dessen zeitlicher Ablauf und die Ansprüche an die Qualität sind nun viel klarer und viel detaillierter beschrieben.

Redaktion: Wie kann dieser interdisziplinäre Prozess der Versorgung aussehen?

Prof. Zahnert: In Deutschland haben wir verschiedene Wege der CI-Versorgung. Zum einen gibt es Kliniken, die von der Diagnostik über die Implantation bis zur Nachsorge sämtliche Schritte selbst durchführen. Andererseits werden Folgetherapie und Nachsorge häufig von einem Reha-Zentrum übernommen, das im Rahmen eines Reha-Vertrages mit der Klinik kooperiert, jedoch eigenständig ist. Hinzu kommen eine Art Mischkonstruktionen, bei denen Klinik und Reha-Einrichtung verschmolzen sind. Hier in Dresden zum Beispiel haben wir an der Klinik ein CI-Zentrum, das einen Reha-Vertrag hat.

Es gibt also unterschiedliche Versorgungsstrukturen, die wir unter einen Hut bringen mussten. Genau das haben wir in der Leitlinie versucht: den Prozess beschrieben und Verantwortlichkeiten sowie zeitliche Abläufe geregelt. Ebenso wurde geregelt, welche Professionen an der Versorgung beteiligt werden sollen. Entscheidend ist aber zuerst einmal, dass die Verantwortung für die Versorgung eindeutig bei der CI-versorgenden Einrichtung liegt – also bei der Einrichtung, die das Implantat einbringt. Sie ist nicht nur für die Operation eines CI-Patienten verantwortlich, sondern für den gesamten Versorgungsprozess, also letztendlich für die Betreuung bis ans Lebensende. Diesen Prozess muss die Einrichtung kontrollieren. Sie kann – insbesondere bei Folgetherapie und Nachsorge – Aufgaben delegieren. Aber sie bleibt verantwortlich.

Redaktion: Was hat das für Konsequenzen?

Prof. Zahnert: Ganz erhebliche. Bereits dann, wenn sich ein Patient für die Operation in einer Einrichtung entscheidet, muss diese ihn umfassend informieren – und das nicht nur über die Operation. Der Patient muss bereits zu diesem Zeitpunkt den gesamten Versorgungsprozess kennen. Er muss wissen, was nach der OP lebenslang auf ihn zukommt und wo die Verantwortlichkeiten liegen. Er willigt nicht nur in die Operation ein, sondern auch in den weiteren Prozess der Versorgung. Das sind enorme Anforderungen, die erstmals detailliert abgebildet wurden.

Redaktion: Eine wesentliche Neuerung scheinen mir auch die Indikationskriterien. Bislang hieß es nur, ein CI sei dann indiziert, wenn zu erwarten ist, dass man besser hört und dadurch sozial besser zurechtkommt. Jetzt ist erstmals das Sprachaudiogramm entscheidend?

Prof. Zahnert: Als Richtwert gilt ein monaurales Einsilberverstehen mit Hörgerät von höchstens 60 Prozent, gemessen bei 65 dB SPL im Freiburger Sprachtest. Aus meiner Sicht ist das ein wichtiger Anker, wenn es um die Frage Hörgerät oder CI geht. Bei dieser Frage gab es nicht nur für die Patienten, sondern auch für HNO-Ärzte und Hörakustiker bislang eine gewisse Verunsicherung. – Wie lange kann mit gutem Gewissen noch zur Hörgeräte-Versorgung geraten werden? Wann sollte man sich für das Cochlea-Implantat entscheiden? – Da gibt die Leitlinie nun klare Orientierung.

Dieser Richtwert soll dazu führen, dass Patienten, die durch ihr Hörgerät keine ausreichende Unterstützung bekommen, gezielt untersucht werden. – Und das immer auf das einzelne Ohr bezogen. Oft werden ja nur beide Ohren zusammen im freien Schallfeld gemessen, so dass man gar nicht feststellen kann, ob ein Ohr deutlich unter 60 Prozent liegt. Ist das jedoch der Fall, dann sind die Patienten in der Regel viel besser versorgt, wenn das schlechtere Ohr mit einem CI versorgt wird, während auf der Gegenseite weiter das Hörgerät getragen wird.

Redaktion: Wie kam es zum Wert von 60 Prozent Einsilberverstehen?

Prof. Zahnert: Das basiert auf wissenschaftlichen Erfahrungen. Man hat geschaut, wie hoch das durchschnittliche Einsilberverstehen mit CI bei 65 dB SPL ist. Dies liegt bei etwa 70 Prozent. Dann ist man noch etwas nach unten gegangen, um den Low-Performern und den High-Performern unter den CI-Patienten Rechnung zu tragen. Schließlich haben wir uns auf 60 Prozent geeinigt.

Hintergrund für diesen Richtwert ist zudem, dass wir heute wissen, dass Schwerhörige häufig noch mehr vom Cochlea-Implantat profitieren, wenn sie noch nicht funktionell ertaubt sind bzw. das maximale Einsilberverstehen mit Hörgerät auf dem betreffenden Ohr nicht schon deutlich unter 50 Prozent liegt. Wir können dann davon ausgehen, dass die zentrale Hörverarbeitung wahrscheinlich noch besser funktioniert. Die Rehabilitation ist kürzer und der Patient profitiert schneller von der Versorgung.

Redaktion: Welche Konsequenzen hat das für die Praxis – etwa für die Arbeit im Hörakustik-Fachgeschäft?

Prof. Zahnert: Eine Leitlinie hat immer auch Konsequenzen – für alle Leistungsträger, bis hin zum medizinischen Dienst der Krankenkassen. Sie ist zwar keine Verpflichtung, aber sie formuliert die Empfehlung, wann man sich in einer CI-versorgenden Einrichtung vorstellen sollte. Auch dem Hörakustiker erleichtert das, eine Entscheidung zu treffen.

Für Deutschland wünschen wir uns, dass die Hörakustiker und die CI-versorgenden Einrichtungen in Zukunft noch enger zusammenarbeiten, dass es Kooperationen gibt und ein enger fachlicher Austausch stattfindet. Werden beim Hörakustiker die besagten 60 Prozent mit Hörgerät nicht mehr erreicht und schickt er seinen Kunden dann zur CI-versorgenden Einrichtung, wird die Messung hier natürlich noch einmal überprüft. Bestätigt sich die Indikation nicht oder kommt es aus anderen Gründen nicht zur Implantation, ist  es wichtig, den Betroffenen weiter zu beobachten. Auch hier sollten Hörakustiker und Einrichtung zusammenarbeiten und sich austauschen.

Redaktion: Die Erkenntnis, dass ein Hörgerät alleine keine ausreichende Hilfe mehr bietet, wird doch oft im Zuge der Betreuung durch das Hörakustik-Fachgeschäft entstehen?

Prof. Zahnert: Das ist sicherlich so.

Redaktion: Welchen Stellenwert haben Hörakustiker*innen dann bei der Beratung bzw. der Orientierung auf eine mögliche CI-Versorgung? Und welchen Stellenwert hat andererseits die CI-Klinik?

Prof. Zahnert: Der Hörakustiker ist da ein wichtiger Baustein. Denn er kann entscheidend dazu beitragen, dass sich sein Kunde in einer CI-versorgenden Einrichtung beraten lässt; er kann ihn motivieren. – Es ist ein sehr wichtiger Schritt, nach der entsprechenden Messung zu sagen: „Ja, wir haben bei Ihnen mit dem Hörgerät eine Grenze erreicht. Es kann sein, dass wir die Strategie ändern müssen. Ich würde Sie gerne zu einer weiterführenden Diagnostik an die und die Einrichtung überweisen.“ – Damit stellt der Hörakustiker rechtzeitig die Weiche für den weiteren Versorgungsweg. Und die neuen audiologischen Kriterien für die Indikation geben ihm dafür jetzt eine gute Orientierung.

Ob die Versorgung mit einem CI tatsächlich empfohlen werden kann, lässt sich jedoch nur interdisziplinär entscheiden. Die ausführliche Beratung setzt eine Voruntersuchung voraus. Und diese kann in ihrer Komplexität nur von der CI-versorgenden Einrichtung erbracht werden. Da geht es ja nicht nur um die audiologischen Kriterien. Es geht um medizinische Parameter, um eine psychologische Einschätzung, um Diagnostik mit bildgebenden Verfahren… Neben den Ärzten sind Hörpädagogen, Psychologen, Therapeuten beteiligt. Die Narkosefähigkeit muss überprüft werden… – Aus all dem folgt, dass es nicht die Aufgabe des Hörakustikers sein kann, seinen Kunden zu einem Cochlea-Implantat zu überreden bzw. ihm zu sagen: „Sie bekommen jetzt ein CI.“

Redaktion: Und welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht die Beratung beim niedergelassenen HNO-Arzt?

Prof. Zahnert: Der niedergelassene HNO-Arzt ist eine Schlüsselfigur des interdisziplinären Netzwerks. Durch das Festschreiben der Indikationskriterien in der Leitlinie wird es auch für ihn leichter, eine Empfehlung zu geben. Auch er ist aufgerufen, eine gute Hördiagnostik vorzunehmen. Wir wünschen uns, dass unsere niedergelassenen Kollegen verstärkt die Sprachaudiometrie nutzen, dass sie jedes einzelne Ohr mit und ohne Hörgerät messen und ihren Patienten im Zweifelsfall an ein Zentrum überweisen. Mitunter lässt sich ja schon anhand der Hörschwelle im Reinton-Audiogramm (ab 70 dB) feststellen, ob eine Überprüfung der Indikationsgrenzen mittels Sprachaudiometrie erfolgen sollte.

Mein Eindruck ist allerdings auch, dass unter den Ärzten noch nicht überall bekannt ist, was Cochlea-Implantate heutzutage leisten, und welche Möglichkeiten der Versorgung wir heute haben. Einige Kollegen nehmen nach wie vor an, dass ein CI nur für taube Patienten in Frage kommt. Dass es auch für Menschen geeignet ist, die ein Hörgerät tragen, damit jedoch kein ausreichendes Sprachverstehen haben, ist leider immer noch nicht überall angekommen. Da müssen wir mit Fortbildungen gegensteuern.

Redaktion: Gegenstand der Leitlinie ist auch, wie sich eine „bisher bestehende Hörsystem-Versorgung“ in die anstehende CI-Versorgung integrieren lässt. Was ist damit genau gemeint?

Prof. Zahnert: Es muss individualisiert entschieden werden, wie das Cochlea-Implantat in die bisherige Versorgung eingebunden wird. Das hängt natürlich davon ab, wie die bisherige Versorgung aussah. Hat der Patient Hörgeräte? Hört er vielleicht mit einem Knochenleitungshörsystem oder mit einer CROS-Versorgung? Wie steht es um seine Resthörigkeit? Lohnt es sich, diese mit einer elektroakustischen Versorgung weiter zu nutzen? Es gibt zahlreiche Überlegungen bis hin zur Frage, welches CI-System man empfiehlt.

Redaktion: Der häufigste Fall bei älteren CI-Patienten ist die bimodale Versorgung mit Cochlea-Implantat und Hörgerät. Wie sieht es hier mit den Aufgaben des Hörakustikers nach erfolgter CI-Versorgung aus?

Prof. Zahnert: Das hängt davon ab, in welchem Maße der Hörakustiker in den Prozess der CI-Versorgung eingebunden ist. Wenn er mit dem CI gar nichts zu tun hat, dann konzentriert er sich auf die Hörgeräteversorgung und telefoniert gelegentlich mit der Klinik. Ist er jedoch in den Prozess eingebunden, dann gibt es natürlich auch einen intensiveren Austausch – etwa zu den Ergebnissen der Anpassung. Das ist dann sicherlich von Vorteil für den Patienten.

Ich denke, dass die Kooperationen da in Zukunft noch viel enger geknüpft werden. Es muss einen Austausch geben, auch ein Feedback. Dort, wo es heute schon Kooperationen gibt, wird das ja auch schon praktiziert.

Redaktion: Welche Möglichkeiten für zukünftige Kooperationen sehen Sie? Inwieweit können Hörakustiker Aufgaben bei der CI-Nachsorge übernehmen?

Prof. Zahnert: In jedem Fall muss jede Kooperation vertraglich geregelt sein. Ein Kooperationsvertrag ermöglicht ja erst den regelmäßigen Austausch von Leistungen und Daten. Ebenso können dann auch Erfolgsparameter abgestimmt werden.

Die Leitlinie nennt Aufgaben, die die CI-versorgende Einrichtung delegieren kann. Hier wird auch gesagt, unter welchen Bedingungen und für welche Aufgaben Hörakustiker eingebunden werden können. Generell unterscheidet die Leitlinie etwa die audiologische, die hörtherapeutische und die sprachtherapeutische Basistherapie sowie die medizinische Kontrolle. Es ist z. B. auch in der Langzeitnachsorge wichtig, dass das versorgte Ohr einmal im Jahr von einem Arzt kontrolliert wird. Ebenso ist die technische Nachsorge beschrieben; und vor allem bei ihr ist die Einbindung von Hörakustikern vorgesehen. Da geht es etwa um die Versorgung mit Soundprozessoren oder um den Austausch von technischen Bauteilen. Wichtig ist jedoch, dass diese Aufgaben – so wie alle anderen auch – im Rahmen eines Kooperationsvertrages mit der CI-versorgenden Einrichtung erbracht werden. Auch hier liegt die Verantwortung bei ihr. Ich gehe davon aus, dass die Rolle, die Hörakustiker im Rahmen solcher Kooperationen spielen, zunimmt. Das wird schon deshalb so sein, weil die Zahl der Patienten in der Langzeitnachsorge immer weiter steigt.

Redaktion: Herr Professor Zahnert, Sie haben die Leitlinie federführend koordiniert. Welche Herausforderungen mussten Sie dabei überwinden?

Prof. Zahnert: Die Erarbeitung einer Leitlinie ist immer ein Konsensprozess. Die Herausforderung bei solchen Prozessen ist immer der große Zuwachs an Wissen. Den muss man zunächst einmal so komprimieren, dass er sich überhaupt redaktionell bearbeiten lässt. Dann muss jede einzelne Aussage geprüft und geschärft werden und am Ende muss alles noch lesbar sein.

Zugleich muss ein Konsens zwischen den unterschiedlichen Professionen entstehen. Im Interesse des Patienten müssen Parameter für die Qualität der Versorgung gefunden werden, die dem gesamten Prozess unterlegt werden. Hier war herausfordernd, dass die Ansprüche an die Qualität zum Teil sehr unterschiedlich waren. Phoniater und Pädaudiologen zum Beispiel haben sehr hohe Qualitätsansprüche vorgebracht. Hohe Ansprüche gab es auch hinsichtlich der Rehabilitation in den Einrichtungen. Daraus folgten zum Teil lange Diskussionen, bei denen immer auch die Frage stand: Was ist machbar? Oder auch: Worauf kann man verzichten, damit die Sache überhaupt noch handelbar ist? Das ist auch ein Geduldsspiel, bei dem gewisse diplomatische Fähigkeiten gefragt sind. Aber es hat Spaß gemacht. Und ich denke, es ist uns vor allem gelungen, für die Patienten ein Maximum herauszuholen.

Redaktion: Was sind nun die nächsten Schritte? Wie geht es jetzt an die Umsetzung?

Prof. Zahnert: Zuerst einmal müssen die wichtigsten Inhalte der Leitlinie kommuniziert werden. Dazu wird es nicht nur dieses Interview, sondern auch noch andere Beiträge in Fachzeitschriften geben. Und ich gehe davon aus, dass wir die wichtigsten Punkte noch mal in einer Kurzform zur Verfügung stellen. Denn 80 Seiten sind ja doch schon eine recht umfangreiche Lektüre.

Redaktion: Welche Aktivitäten werden von Seiten der HNO-Fachgesellschaft ergriffen?

Prof. Zahnert: Die HNO-Fachgesellschaft ist erst einmal froh, dass die Leitlinie aktualisiert ist, denn das war schon überfällig. Und wir sind vor allem froh, dass es jetzt einen Konsens gibt, mit dem man arbeiten kann, und dass die gestellten Ansprüche an die Qualität jetzt konkret benannt sind – insbesondere hinsichtlich der Interprofessionalität und mit Blick auf die Bildung von Zentren. Mit der Leitlinie weiß jeder, welche Rahmenbedingungen bestehen, um ein Cochlea-Implantat zu indizieren, um es einzusetzen und um die Nachsorge ein Leben lang sicherzustellen.

Ganz am Anfang wurde die CI-Versorgung in Deutschland an wenigen Universitätskliniken etabliert. Doch mittlerweile gibt es viele Einrichtungen – bis hin zu solchen, die sich zwar als Zentren darstellen, diese Interprofessionalität aber gar nicht leben. Dies kann nicht die Zukunft sein. Die Indikationsstellung wurde immer komplexer.  Und auch die operative Versorgung ist immer komplexer. Da geht es um Restgehör-Erhalt, um minimal traumatisches Operieren und um die große Vielfalt der Elektroden. Bei Auswahl und Insertion der Elektroden haben wir heute schon fast eine personalisierte Medizin. Hier ist eine Expertise gefragt, die gar nicht entstehen kann, wenn eine Einrichtung fünf Implantationen im Jahr vornimmt. Es ist wichtig, hier Qualitätsansprüche zu formulieren – bis hin zur Regelung der Verantwortlichkeit für die Nachsorge. Es muss garantiert sein, dass kein Patient am Ende allein dasteht, weil es in seinem Umfeld nicht die adäquaten Ansprechpartner für seinen CI-Versorgungsprozess gibt.

Redaktion: Lassen Sie uns bitte abschließend noch einmal auf die Hörakustiker zurückkommen: Was spricht dafür, dass sie sich im Prozess der CI-Versorgung zukünftig stärker einbringen als bisher?

Prof. Zahnert: Dafür spricht zum einen, dass die Hörakustiker nun eine klare Indikationslinie haben und messen können, wann ihr Kunde mit einem Hörgerät unterversorgt ist, und wann er von einem CI profitieren könnte. Und dafür spricht auch, dass es für Hörakustiker Möglichkeiten und Chancen gibt, sich in den Prozess einzubringen – indem sie dem Betreffenden die weiterführende Diagnostik empfehlen, und indem sie die technische Nachsorge übernehmen und ihn weiter betreuen, sich mit um die Einstellung kümmern, um die Upgrades bei Soundprozessoren usw. Schließlich spricht dafür, dass die Hörakustiker von den Betreffenden mehr Zufriedenheit erfahren werden als zuvor mit den konventionellen Hörgeräten, wenn die Innenohrschwerhörigkeit fortgeschritten ist.

Redaktion: Und was spricht dagegen?

Prof. Zahnert: Dagegen spricht eigentlich gar nichts. Hörakustiker sind ein ganz wichtiger Baustein im Versorgungsprozess. Und sowohl die Patienten als auch die Mediziner sind dankbar, wenn wir mit den Hörakustikern noch enger zusammenarbeiten.

Redaktion: Herr Professor Zahnert, vielen Dank für das interessante Gespräch und viel Erfolg bei der Umsetzung.

Die neue AWMF-Leitlinie „Cochlea-Implantat Versorgung“ der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. (DGHNO-KHC) finden Sie unter folgendem Link:

https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/017-071.html