21.02.2024
Neue Perspektiven für die CI-Nachsorge
Die langfristige Betreuung von Cochlea-Implantat-Trägern aus verschiedenen Blickwinkeln
Dass deutlich mehr Bundesbürger als bislang von einer Versorgung mit dem Cochlea-Implantat (CI) profitieren könnten, darin sind sich die Fachleute einig. Medizin und Selbsthilfe sprechen davon, dass von 20 Deutschen, die mit dem CI besser hören könnten, bislang lediglich einer versorgt ist. Wenn es jedoch gelingen sollte, diesen Anteil deutlich zu erhöhen – wie stellt man dann die Versorgung und insbesondere die lebenslange Nachsorge für all diese Menschen sicher? Antworten lieferte das Symposium „Der Patient im Mittelpunkt der Versorgung“, das Cochlear im Rahmen der 93. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals- Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. (DGHNO-KHC) organisierte. Neben neuesten teleaudiologischen Ansätzen ging es auch um die Rolle, die Hörakustiker bei der zukünftigen Betreuung von CI-Trägern einnehmen sollten. Unterschiedliche Perspektiven und Ansätze werden in diesem Beitrag zusammengefasst.
Audiologische Betreuung gegebenenfalls auch aus der Ferne erhalten zu können, das wünschen sich schon jetzt viele CI-Träger. Sylwia Swiston, Account Manager Clinics bei Cochlear Deutschland, widmete sich in ihrem Beitrag dem Cochlear Remote Check – und das aus der Anwenderperspektive. Seit sechs Jahren arbeitet sie bei Cochlear im Vertriebsteam und seit acht Jahren ist sie beidseitig mit CI versorgt. Den Remote Check, der die Überprüfung der Soundprozessoren ohne Vor-Ort-Termin beim Audiologen ermöglicht, konnte sie in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Frankfurt testen.
Hörservice aus der Ferne: Vorteile des Cochlear Remote Checks
Die für sie wichtigsten Vorteile sind in Abbildung 1 zusammengefasst: Als größten Pluspunkt nannte Sylwia Swiston die jederzeit mögliche, ortsunabhängige, eigene Kontrolle des Hörens, z. B. in Ergänzung zu jährlichen Klinikkontrollterminen. Durch diese zusätzliche Option könne sie auch schleichende Veränderungen, hervorgerufen etwa durch verschmutzte Mikrofonabdeckungen, schneller erkennen. Das gäbe ihr als CI-Trägerin noch mehr Sicherheit.
Weitere Vorteile seien Zeitersparnis und Bequemlichkeit. Für einen Klinikbesuch inklusive An- und Abreise, Warte- und Untersuchungszeit müssen Patienten in der Regel einen ganzen Tag einplanen. Wer jedoch ein wenig Übung habe, könne mit dem Remote Check die gesamte Testung in zirka 20 Minuten abschließen. Hinzu kommt, dass man den Test in gewohnter Umgebung und zum selbstgewählten Zeitpunkt „auf dem Sofa beim Kaffee“ durchführen könne. Gerade auch für ältere oder wenig mobile Patienten sowie unter Pandemie-Bedingungen sei das entlastend. Zudem könnten Patienten die Testung jederzeit unterbrechen und später fortführen.
Noch ein Vorteil sei, dass man sich Reisekosten sparen kann. Vom angestammten Audiologen, der die individuelle Hörentwicklung seines Patienten kennt, könne man sich auch während des Urlaubs oder nach einem Umzug weiter betreuen lassen. In der Remote-Option könne man über die Chat-Funktion in einen persönlichen Austausch mit dem Audiologen treten, auch für eine spätere Auswertung der Messwerte. Der Chatverlauf wird in der App gespeichert und erlaubt jederzeit Zugriff auf diese Informationen.
Nicht zuletzt beschrieb Sylwia Swiston die Anpassung des Testablaufs an den individuellen Bedarf als einen spürbaren Vorteil. Denn für jeden Patienten könne der Audiologe individuell relevante Tests auswählen, z. B. Impedanzmessungen oder ein Foto des Implantatbereichs.
Zusammenfassend konstatierte die Referentin, dass zwar nicht jeder Patient den Remote Check nutzen wird – sei es etwa aufgrund mangelnder Technikaffinität oder derzeit noch ausstehender Soundprozessor-Kompatibilität. Dennoch sei das Tool eine gute und ergänzende Maßnahme zur jährlichen Klinikkontrolle, die den Alltag und die Nachsorge erheblich vereinfacht. – „Der Remote Check hilft mir, besser zu erkennen, ob und wann ich in die Klinik muss“, so Sylwia Swiston. „Ich würde jeder Klinik empfehlen, ihren Patienten diese Möglichkeit als eine alternative Hörkontrolle anzubieten.“
Aktuelle Konzepte der CI-Versorgung auf dem Prüfstand: Was sind eigentlich die Parameter für Qualität?
In einem weiteren Beitrag widmete sich Professorin Dr. med. Anke Lesinski-Schiedat, ärztliche Leiterin des Deutschen Hörzentrums Hannover (DHZ) an der Medizinische Hochschule Hannover (MHH), Konzepten der CI-Versorgung aus Klinik-Perspektive. Sie betonte, dass neben den Patienten auch deren Familien im Mittelpunkt der Versorgung stehen müssten. Ziel sei die bestmögliche Behandlungsqualität, auch in der CI-Nachsorge.
Doch wie – so die Referentin – sei diese Qualität bis heute definiert? Als offenes Sprachverstehen wie bei Normalhörenden (OLSA in Noise -7 dB)? Als wohnortnahe Implantation und Versorgung, telemedizinische Anpassung, sektorenübergreifende Versorgung mit vertrauten HNO-Ärzten und Akustikern, stationär und ambulant, und mit patientenunterstützter Versorgung? Welche Parameter trügen zur Qualität bei? Ginge es um Quantität und Komplexität der Versorgung, z. B. der chirurgischen Komplexität, um die Ergebnisqualität durch Anpassung und Therapie, um die Anzahl der involvierten Disziplinen, um eine niedrige Komplikationsrate? Welche Versorgungsstufen seien beteiligt? Und wer definiert überhaupt die Parameter für Qualität?
Im derzeitigen Versorgungskonzept (Abbildung 2) seien HNO-Facharzt, Akustiker und Pädaudiologe für die initiale Diagnostik und bei der Beratung zur Indikation aktiv. Daran schließe sich die CI-Klinik an, die für die audiologische und radiologische Diagnostik, die eigentliche Indikationsstellung, die Implantation sowie die postoperative Rehabilitation zuständig ist. Ein wesentlicher Aspekt der CI-Klinik sei darüber hinaus die Forschung und Entwicklung. Die Durchführung der technischen und logopädischen Nachsorge obliege dann der CI-Klinik und den Hörzentren sowie den rehabilitierenden Kommunikationskliniken.
Im Rahmen der Diagnostik müsse neben der vollständigen Audiologie auch eine hochqualifizierte Radiologie zur medizinischen Abklärung und Identifikation seltener Krankheitsbilder durchgeführt werden, so die Referentin. Eine breit aufgestellte laborchemische und humangenetische Diagnostik sei essenziell für die Ursachensuche, für die Festlegung der Therapiestrategie und für mögliche anschließende biologische Therapien. Diese umfangreiche Diagnostik sei erforderlich, um Patienten und Eltern von CI-Kindern umfassend zu beraten und eine realistische Erwartungshaltung zu erzeugen. Zur Beratung gehörten auch Abwägung und Entscheidung für ein Hörsystem, etwa für eine Kombination akustischer und elektrischer Stimulation bei der restgehörerhaltenden Chirurgie. Die Implantation könne sehr komplex sein, z. B. bei Reimplantationen mit verknöcherter Cochlea nach 22 Jahren CI-Nutzung. Das erfordere ausreichende Erfahrung. Vergleichbare Herausforderungen gäbe es in der Anpassung und auch in der postoperativen Therapie, z. B. bei dementiellen Erkrankungen. Andererseits reduziere die CI-Versorgung von Senioren den Pflegebedarf und sorge für eine neue Form von Effizienz.
Hörakustiker frühzeitiger und nachhaltiger in den Prozess der CI-Versorgung einbinden
Die Referentin plädierte für eine Strukturveränderung, welche kontinuierlich an sich wandelnde Bedingungen anzupassen sei (Abbildung 3). Neue Tools, wie etwa der Remote Check, sollten sinnvoll in die Nachsorge eingebunden werden. – „Und wir müssen die Hörakustiker frühzeitiger und nachhaltiger in den Prozess der CI-Versorgung involvieren“, so Professorin Lesinski-Schiedat weiter. Im Bereich der Nachsorge sei eine systematische Qualitätskontrolle auf Basis eines Implantat-Registers notwendig. Initial mit Daten der CI-Klinik gespeist sei das Register die Basis für Austausch und Wissenstransfer. Patientengenerierte Daten, die etwa mittels Remote Care gewonnen werden, könnten einen erheblichen Beitrag zur Qualität des Implantat-Registers leisten. So trügen Patienten zur Verbesserung der Versorgungsqualität maßgeblich bei.
Zwischen CI-Klinik und Hörakustiker sei eine Arbeitsteilung notwendig; sinnvoll seien dabei drei Abstufungen: Auf der ersten Stufe sollte es mit der Klinik vertraglich verbundene qualifizierte und spezialisierte CI-Hörakustiker geben, die aktiv in die Nachsorge, also z. B. auch die Anpassung, eingebunden werden. In der nächsten Stufe fänden sich Hörakustiker mit Hörimplantat-Erfahrung, die technische Probleme sicher identifizieren und Patienten an qualifizierte Kooperationspartner weiterleiten. Die dritte Stufe, die breite Basis der Hörakustiker, muss über fundiertes Wissen bzgl. der Arten der Hörimplantate und der alternativen und zusätzlichen Versorgungsmöglichkeiten verfügen. Insbesondere sollten die individuellen Grenzen der Hörgeräteversorgung erkannt und betroffene Patienten über Möglichkeiten der CI-Versorgung beraten werden können.
Im Mittelpunkt der Interaktion müsse das Vertrauen zwischen Patienten, Hörakustikern und Kliniken stehen, so Professorin Lesinski-Schiedat. Stetige Kommunikation sei essenziell für eine qualitativ hochwertige Versorgung. Es müsse sichergestellt sein, dass der Patient zum für den jeweiligen Versorgungsschritt am besten geeigneten Akustiker zurückkommt. Denn die Kooperation habe auch einen pekuniären Aspekt. Der Patient hingegen stehe im Mittelpunkt der Versorgung (Abbildung 4) und sei auf die wertschätzende Kommunikation und Zusammenarbeit aller Beteiligten angewiesen. Das Qualitätsmanagement über das Implantat-Register gewährleiste seine bestmögliche Versorgung.
CI-Versorgung aus Sicht des Hörakustikers: ein über Jahrzehnte entwickeltes Netzwerk
Der CI-Versorgung aus Sicht des Hörakustikers widmete sich Eva Keil-Becker in einem dritten Beitrag. Eva Keil-Becker ist Hörakustikmeisterin, Pädakustikerin und Vizepräsidentin der EUHA. Sie leitet die Firma Becker Hörakustik mit 21 Fachgeschäften im nördlichen Rheinland-Pfalz, Bonn Bad Godesberg, Hauptsitz ist Koblenz.
In ihrem Vortrag stellte Eva Keil-Becker das Konzept der Versorgungsnetzwerke vor: Becker Hörakustik habe schon früh eine vollständige und lückenlose Hörversorgung angestrebt. Durch den Kontakt mit Professor Ernst Lehnhardt sei bei Becker Hörakustik 1997 Interesse am CI geweckt worden. Im Alltag des Hörakustikers sei es zuvor oft unbefriedigend gewesen zu sehen, dass Menschen mit Hörminderung nicht ausreichend versorgt waren. Weiterer Aspekt sei gewesen, dass es in der Landesschule für Gehörlose und Schwerhörige in Neuwied Kinder mit CI gab, aber noch keine implantierende Klinik. Traten Probleme auf, war keine qualifizierte Hilfe vor Ort.
Seit damals habe Becker Hörakustik intensiv in die CI-Versorgung investiert. Mittlerweile gäbe es im Unternehmen zehn geschulte CI-Akustiker. In den Fachgeschäften würden Räume für Anpassung und technischen Service mit einem großen Lagerbestand an Sprachprozessoren, Ersatzteilen und Zubehör bereitgestellt. Becker Hörakustik sei Servicepartner von allen führenden Hörimplantat-Herstellern, nähme regelmäßig an den Fortbildungen der Hersteller teil und unterhalte ein zertifiziertes Qualitätsmanagement-System.
Im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz (BWZK) habe die CI-Versorgung für Becker Hörakustik vor 20 Jahren begonnen. Die besondere Situation hier: Becker übernahm die Aufgaben der Audiologie inklusive Erst- und Folgeanpassungen sowie Upgrades. Mittlerweile deckten auch andere Kooperationen den Bereich der Langzeitnachsorge ab; z. B. mit den Universitätskliniken Hannover, Freiburg, Mannheim, Frankfurt, Bonn und dem Katholischen Klinikum Koblenz. Heute würden von Becker mehr als 1.500 Träger von Hörimplantaten betreut.
Gute Zusammenarbeit zwischen CI-Klink und CI-Akustiker: beide Seiten stellen den Betroffenen in den Mittepunkt
Zu den Leistungen der Hörakustiker in der CI-Versorgung gehöre die technische Nachsorge für alle Hörimplantate. Diese umfasse im Rahmen der Langzeitnachsorge die Anpassung der Soundprozessoren, jährliche Kontrollen, CI-Service und Funktionskontrollen, Reparaturen, ggf. Ohrpassstücke, Soundprozessor-Upgrades, digitale akustische Übertragungsanlagen (DAÜ) und das Bereitstellen von Urlaubsprozessoren.
Und Becker Hörakustik sei von Anfang an auch darüber hinaus aktiv: Einmal pro Woche seien Mitarbeiter des Unternehmens in der Landesschule für Gehörlose und Schwerhörige zur technischen Betreuung der CI-Kinder. Auch samstags erhielten CI-Träger technischen Support. Bereits Ende der 1990er habe die Firma Becker CI-Selbsthilfegruppen in Koblenz-Neuwied, später auch in Bonn, gegründet, welche regelmäßig Informationsveranstaltungen anbieten. Außerdem gäbe es die „Botschafter des guten Hörens“, engagierte Betroffene, die anderen mit persönlicher Erfahrung zur Seite stehen. Dazu gehörten auch bimodal Versorgte, denn die Balance zwischen dem akustischen und elektrischen Hören sei von enormer Bedeutung.
Sehr wichtig für eine effektive Zusammenarbeit zwischen CI-Klinik und Hörakustiker sei zudem der regelmäßige Datenaustausch (Abbildung 5). Fachliche Kompetenz und intensiv gelebte Kooperation aller Beteiligten seien die Grundlage für den Hörerfolg. Der Hörakustiker müsse alle für die Anpassung relevanten Informationen von der Klinik erhalten und die Klinik den kompletten Anpassbericht mit allen relevanten Informationen vom Hörakustiker. Eine gute Kooperation zwischen CI-Klinik und CI-Hörakustiker stelle den Betroffenen in den Mittelpunkt der Versorgung. – „Die Kooperation zwischen Klinik und CI-Hörakustiker ist sichtbar“, so die Referentin. „Der Patient merkt sehr schnell, ob man multidisziplinär und gut zusammenarbeitet.“